Predigt zum Nachlesen

21. März 2021 – Judika, Predigt von Prädikantin Friederike Wagner.

 

Liebe Gemeinde!

Eine ganz besondere Geschichte will heute zu uns sprechen: Da ist einer ganz unten angekommen – hat alles verloren, körperlich ein Wrack; seine leidende Seele klagt seine Verzweiflung heraus. Die Geschichte des Hiob beschreibt den totalen Abstieg eines Menschen.

Und da ist der Sonntag mit dem Namen Judika.

„Judika – Verschaffe mir Recht, Gott! –  das ist Name und Bedeutung dieses Sonntags.

Lesung: Hiob 19, 19-27

19 Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich liebhatte haben sich gegen mich gewandt. 20  Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon.

21 Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, meine Freunde, denn die Hand Gottes hat mich getroffen. 22 Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch?

23 Auch dass meine Reden aufgeschrieben würden! Auch dass sie aufgeschrieben würden als Inschrift. 24 mit einem eisernen Griffel im Blei geschrieben, zu ewigem Gedächtnis in einen Fels gehauen!

25 Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben. 26 Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen.

27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.                                         

Wie kommen Menschen in Not und Bedrängnis, mit Erfahrung von Unrecht zu ihrem Recht; wie werden Rechtlose Erbarmen finden? Wie finden Gepeinigte zu einem Leben in Würde, Selbstachtung, Schutz, Beistand im Elend? Gibt es überhaupt Hilfe und Erlösung aus dem Leid – wenn nicht bei Gott. Hat sogar Gott sein Angesicht verborgen? Gott wird doch seine Macht auch über menschlichem Zerbrechen erweisen! Dies sind Gedanken des heutigen Sonntags und des Predigttextes aus dem Hiob-Buch. Ein Mensch, ganz unten angekommen, offenbar verlassen von seinen Nächsten und sogar von Gott, spricht offen aus, welches Schicksal ihn traf und gibt doch seine Hoffnung auf Erlösung nicht auf. So erlebt ein schwer Leidender, in der Geschichte, in der Geschichte von Hiob, Gott vor allem als hart. Gottes Hand hatte ihn getroffen, er verlor alles; seine ganze Existenz stand in Frage; seine Wege und sein Inneres wurden verdunkelt. Nun ringt der Geschlagene mit der Frage, wer sich denn über sein gequältes Leben überhaupt noch erbarmen wird. Menschliche Hilfe ist nicht zu erwarten; an wen anders als an Gott kann er sich denn wenden? Wenn sogar „beste Freunde“ dem Leidenden den Rücken kehren können – was bedeutet dies für die Art und Weise, wie wir mit Menschen umgehen, die „das Schicksal“ schwer prüft?

Letztlich vereinsamen solche Menschen oft, fragen sich, ob ihr Leben noch Sinn macht. Oder es kommt zu Wut und Gewalt; man will die Not auf Andere übertragen. Trauer über Verlorenes, unerklärbare Schicksale                können mehrfach krank machen – gerade beim Verlust nahestehender Menschen, die einem alles bedeuteten.

Wie wichtig ist es daher, dass Hiob diese Not nicht für sich behält, nicht wie eine verlöschende Kerze einfach das Ende erwartet.
Uns fällt auf, uns bewegt, wie er seine Not hinausschreit, diese Negativ-Erfahrung vor Vergessen schützen will, es den Nachkommenden einprägen will:  …dass meine Reden aufgeschrieben würden… zu ewigem Gedächtnis. Es ist erstaunlich, wie ehrlich und persönlich Hiobs Ergehen in dieser ungewöhnlichen Erzählung geschildert wird. Dabei trägt und erzählt sie weiter, wie es Unzähligen erging – deren Name unbekannt bleibt, deren Ergehen keine Schrift, keine Bibel festhält. Nichts von dem, was Menschen erfahren oder tun klammert die Bibel aus. Sie ist keine Sammlung schöner Reden für angenehme Zeiten des Lebens. Auch ist sie keine Drama- und Spruch-Sammlung. Weshalb wir die Bibel so brauchen und lieben, ist diese ganz andere Botschaft. Der uns geschaffen hat, entließ seine Menschen nicht dem Zufall; er begleitet jedes Lebewesen alle Stadien und Stationen des Lebens hindurch. Dies predigt die Heilige Schrift, wenn sie die guten wie die heiklen Seiten menschlicher Erfahrung bescheint. Das Ganze unseres Lebens bringt sie ins Wort und zur Schrift. Über allem aber kennt die Bibel Gott, auf den sie Seite für Seite hinweist, ja durch die Er selber uns anspricht.

# Wie es uns, mir, dir ergeht,  # was tagtäglich bei Menschen nah und ferne geschieht >> dies alles kann und muss in eine Begegnung mit Gott, dem HERRN, kommen. 

Die entscheidenden Fragen der Geschichte sind: Wie wird es mit Hiob ausgehen; wo in alledem ist Gott?

So, liebe Gemeinde, muss es Jesus am Kreuz ergangen sein – ja viel schlimmer, als er die Not, Last, Schuld, Krankheit aller Menschen ertragen musste: aus unsäglichem Schmerz rief er: Mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Immer noch aber war es sein Gott!  Das hat Jesus mit Hiob gemeint: Er hört nicht auf, mit Gott zu reden. Jesus befiehlt sich letztlich in die Hände des Vaters und stirbt. Hiob’s Freunde blieben ihm lange treu.  Auf einmal aber war Schluss; nichts mehr verstanden sie – alle gegen einen.  Ihr Trost verebbte; Versuche der Hilfe schlugen fehl. Es benötigt große Geduld,  Menschen in kritischen Lebenslagen auch ohne klugen Rat zu begleiten. Anteilnahme ist mehr als gut gemeinte Worte: Dass aber ist ein Verhalten, das Zeit und Ausdauer braucht. Wichtig ist, sich rechtzeitig nach Wegbegleitern umzusehen, zu denen man gehen kann,  wenn es einmal schwer und belastend wird. Es ist wichtig, sich Menschen zu suchen mit offenen Ohren und mitfühlenden Herzen, die uns nicht hängen lassen. Und wie findet Hiob nun Trost? Zum einen dadurch, dass er im Gespräch steht und sich nicht völlig aufgibt, trotz allem Unglück. Also bricht das „Aber!“ aus Hiob heraus. Damit beginnt die Wende – noch bevor sein Schicksal einen guten Ausgang findet.

Hiob gelingt ein Durchbruch von dem dunklen, ihn scheinbar preisgebenden Gott – hin zu Gott, dem er alles zutraut: Mein Erlöser, das weiß ich, er lebt, und als der letzte wird er sich über meinem Staube erheben! Er glaubt an mehr: Noch zu seinen Lebzeiten, so hofft er, wird Gott auftreten; er gibt ihn nicht auf.  Wie immer auch Gott eingreifen wird – Hiob hält sich an ihn und ruft das hinaus. Diese einzige Hilfe seines Lebens wird erscheinen.

Am Ende des Hiob-Buches wird dies in gar wunderbarer Weise dargestellt: Gott offenbart sich, spricht zu Hiob und über Hiob, bringt sein Leben wieder in Ordnung und zur Blüte.  Was für ein Ereignis, wenn ein Mensch mit seinem Lebensweg Frieden schließt - ob alt oder jung.

Gewiss, es gibt immer Grund zum Sorgen und Klagen – und daran ist nichts herumzukorrigieren. Umso wichtiger sind die weitergehenden Dialoge, diese innere Verbindung mit Gott. Denn: Wahrer, starker Trost kommt von Gott selbst! Und durch manche Bitterkeit hindurch kann es schlussendlich zu einem Frieden mit Gott kommen. Es geht um zwei Dinge, zu denen unser Bibelwort Mut macht und die wir mitnehmen können:

Ja sagen können zum eigenen Lebensweg – wie es ein Lied aussagt: Erscheinen meines Gottes Wege mir seltsam, rätselhaft und schwer…,  dann darf ich mich auf eins besinnen,  dass Gott nie einen Fehler macht.  Diese Erkenntnis bekommt man nicht einfach in die Wiege gelegt.

Und zweitens: Welch wunderbare Hoffnung, wie sie Hiob ergreift und ausspricht: …so werde ich doch Gott sehen. Das „dennoch“ des Glaubens, trotz allem Leid  – auch das ist eine Option, wie ein Geschenk. Das dürfen wir auspacken, einüben und weitersagen.

Die Passionszeit will uns lehren und uns vorbereiten, vor allem Hoffnung geben – im Blick auf den, der für uns gestorben und auferstanden ist.

Wir denken an Judika vor allem an den Leidensweg Jesu Christi; in seiner Passion erlebte er sich auf dem Tiefpunkt am Kreuz von Gott verlassen – als wäre er allein mit all dem ihm zugefügten Unrecht. Dennoch bleibt Gott bei seinem gehorsamen Sohn, der diesen Weg geht. Er richtet Jesus an unserer statt, damit unsere Schuld und unser Leid wegen ihm ein gnädiges Ende finden. So lässt er ihn nicht im Stich, weckt ihn zu neuem Leben auf.

Auch hinter der dunkelsten Erfahrung ist Gott noch da. Hiob ringt sich zu der wunderbaren Erkenntnis durch: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!  

AMEN

 Lied : 86, 1+8   Jesu, meines Lebens Leben