Predigt zum Nachlesen
Predigt am Sonntag Exaudi, 16. Mai 2021 von Pfarrer Axel Malter
Predigttext (Johannes 7,37-39)
37 Am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet,
der komme zu mir und trinke!
38 Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen
Wassers fließen.
39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn
der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
Liebe Gemeinde,
der Sonntag Exaudi ist kein großes Fest im Kirchenjahr. Etwas unscheinbar steht dieser Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Aber gerade das macht seine besondere Bedeutung aus: Exaudi ist der „Sonntag der leeren Hände“. Es ist der Sonntag, an dem wir daran erinnert werden, dass wir bedürftige Menschen sind. Exaudi – Herr, höre meine Stimme. - Wir sind bedürftige Menschen und darauf angewiesen, dass Gott unsere Stimme hört und sich uns zuwendet. Der „Sonntag der leeren Hände“, ich will das noch ein bisschen genauer erklären. Am Donnerstag war Christi Himmelfahrt. Christus ging zurück zu seinem Vater im Himmel und er sagte zu seinen Jüngern: „Ich lasse euch nicht allein zurück. Ich sende euch den Tröster, den Heiligen Geist.“ Jesus hat Wort gehalten. Es wurde Pfingsten. Der Heilige Geist kam und aus dem kleinen, eingeschüchterten und verängstigten Grüppchen der Jünger wurden mutige, vollmächtige Zeugen, die die Botschaft von Jesus in alle Welt hinaustrugen.
Aber das geschah eben erst an Pfingsten. Die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, zu denen der Sonntag Exaudi gehört, waren eine Zeit der leeren Hände. Denn der Geist war noch nicht da.
Und so mag auch uns zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, am Sonntag Exaudi, besonders deutlich vor Augen stehen: Wir sind bedürftig! Unsere Hände sind leer. Nichts haben wir Gott zu bieten. Und nichts haben wir ohne ihn. Wir sind ganz und gar darauf angewiesen, dass Gott sich uns zuwendet, dass er uns in seiner Güte die Hände füllt und das Herz füllt. So sind wir auch seine Kirche: eine Gemeinschaft von Bedürftigen. - Der Auftrag von Jesus an seine Jünger beginnt damit, dass sie warten sollen. Warten, bis sie ausgerüstet werden mit Kraft aus der Höhe. Nicht die Ärmel hochkrempeln und aus eigener Kraft loslegen. – Warten! Das ist mitunter schwer auszuhalten: Leere Hände zu haben, bedürftig zu sein. - Nichts vorweisen können, nichts einbringen können, nicht loslegen können, das ist auch in der Kirche nicht wirklich populär. Wie oft sind wir doch bemüht, im persönlichen Leben wie auch in unserer Gemeindearbeit, voreinander da zu stehen als Menschen, die die Dinge in der Hand und die Sache fest im Griff haben. Als Menschen, deren Hände eben nicht leer sind, sondern gut gefüllt. - Natürlich, theoretisch wissen wir es ganz genau: Was wir in der Hand haben, das hat Gott uns selbst da hineingelegt. Damit hat er uns beschenkt. Aber es fällt uns eben schwer, uns auch verwundbar zu zeigen, unsre Bedürftigkeit zuzugeben. Leere Hände zu haben, bedürftig zu sein, eigentlich ist das etwas zutiefst Menschliches. Aber viel lieber wollen wir eben gut dastehen. - Auch das ist eben nur allzu menschlich. In der Kirche können wir es derzeit wieder beobachten: Es schwant uns, dass die Kirchensteuern in den nächsten Jahren coronabedingt zurückgehen und unsere Hände – ganz materiell gedacht – immer leerer werden. Aber anstatt den Mangel und die leerer werdenden Hände zuzugeben und uns so gemeinsam hilfesuchend an Gott zu wenden, werden eifrig Konzepte entworfen: Konzepte die letztlich nur den Mangel verwalten. Aber nach außen redet man von den Chancen, die in diesem Umbruch liegen, von Netzwerken, von der Stärkung der Regionen und von Synergieeffekten. – Man erweckt den Eindruck „Wir haben‘s im Griff.“– Mit leeren Hände dazustehen, das gilt nicht als schick, auch nicht in der Kirche. Dabei sollten wir es doch gerade als Christen besser wissen: Denn dass wir leere Hände haben, das gilt mehr noch als sonst im Blick auf unsren Glauben. Wir leben als Christen in unserm Glauben ja nie von dem, was wir haben, sondern immer von dem, was wir empfangen. „Selig sind“, sagt Jesus, „die geistlich arm sind“. Die also, die nichts von sich selbst, aber alles von Gott erwarten.
Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten lädt uns dazu ein, unsere leeren Hände vor Gott zu erkennen - offen zuzugeben, dass sie leer sind, und eine Haltung einzunehmen, die alles von Gott erwartet.
Wir dürfen vor Gott leere Hände haben. Wir müssen nichts vorweisen und nichts vortäuschen. Vor Gott ist der Ort, wo ich nicht versuchen muss, mehr zu sein als ich bin. Vor Gott ist der Ort, an dem ich meine Bedürftigkeit zugeben darf, weil ich meine Existenzberechtigung vor ihm nicht durch Leistung nachweisen muss – und es auch nicht kann. Um auszudrücken, wie bedürftig wir Menschen sind, spricht Jesus von „Durst“. „Wer Durst hat, der komme zu mir und trinke.“ Ohne Wasser können wir nicht leben und nichts leisten. „Wer durstig ist, soll zu mir kommen und trinken“ sagt Jesus. Es ist klar: Hier geht es um mehr als um den körperlichen Durst. Aber der Durst, den Jesus meint, ist genauso real. Ein seelischer Durst, ein Durst nach Leben, nach Liebe, nach Sinn, nach Gemeinschaft.
Ich finde es bezeichnend, dass es hier heißt: Jesus ruft alle, die Durst haben, „am letzten Tag des Festes, welches das höchste war“. So ist das doch manchmal im Leben. Gerade dann, wenn man eigentlich auf der Höhe ist, wenn man erfolgreich ist und alles gut läuft, wenn einem Anerkennung und Aufmerksamkeit zuteilwird, oder auch an manchen Festtagen - gerade dann verspürt man diesen Durst nach Leben, so ein inneres Ziehen, ein Gefühl von Leere, wie wenn trotz allem doch noch das Wichtigste fehlt. - Ein Gefühl von Einsamkeit mitten im Trubel, mitten unter den Menschen. Vielleicht klingt der Begriff sonderbar. Aber mir scheint, dass es in jedem Menschen einen innersten Bereich gibt, in dem er einsam ist, in den keine menschliche Nähe hineinreicht, auch keine noch so innige Vertrautheit zwischen zwei Menschen. In diesem allerinnersten Bereich, da hat der Durst seinen Ursprung. Und da möchte uns Gott begegnen. Es ist ein Segen, wenn wir diesen Durst spüren. Weil wir dadurch aufmerksam und empfangsbereit werden für die Einladung von Jesus: „Wer Durst hat, der komme zu mir!“
Wenn Gott unsern Durst stillt, unsre tiefste innerste Sehnsucht, dann heißt das nicht, dass wir keine Probleme mehr haben, uns nie mehr einsam fühlen, dass dann alles wie von selbst geht. Jesus löscht unsern tiefsten Durst und heilt unsere innere Einsamkeit auf eine andere Weise. Er tut es, indem er mich nimmt wie ich bin. Wie ich wirklich bin. Er löscht den Durst nach Leben – durch Liebe. Durch eine Liebe, die viel umfassender und tiefer ist als menschliche Liebe es je sein kann. Er liebt nicht etwas an Dir, sondern er liebt Dich selbst. Er liebt auch das, was nach Abzug aller Deiner Stärken und Deiner liebenswerten Seiten noch vor Dir übrigbleibt. Auch wenn Du meinst, nichts Liebenswertes an Dir zu haben, liebt Dich Gott. Seine Liebe durchdringt alle Schichten Deines Lebens, dringt durch die Rollen, die Du spielst, durchdringt Dein starkes Auftreten - und liebt Dich noch in Deinem schwächsten, bedürftigsten Inneren.
Alles, was zu Dir gehört, Deine Kraft und alles Starke, genauso wie das, was Dich in Deinem Leben schon verletzt und empfindlich und verwundbar gemacht hat. Auch all das unaufgeräumte Durcheinander, was Du in den Schubladen Deines Lebens verschließt, damit das Ganze von außen ordentlich wirkt. Mit all dem nimmt Jesus Dich an. Und mich auch. Gott sei Dank!
Meine leeren Hände - ohne alles, was ich vielleicht vorweisen könnte, um meine Existenzberechtigung zu beweisen – meine leeren Hände werden mir von Gott neu gefüllt: gefüllt mit Liebe - mit Wertschätzung - mit Aufmerksamkeit. Da wird mir von Jesus gesagt: „Es geht mir um Dich. Nicht um etwas an Dir. Sondern um Dich.“ Diese Botschaft ist wie frisches Wasser für einen Durstigen. Und sie ist heute so aktuell wie vor 2000 Jahren.
Ich wünsche mir, dass unsere Gemeinden ein Ort sind, wo Menschen von Jesus Christus und seiner Liebe hören. Der Trost des Evangeliums, die Einladung von Jesus an die Dürstenden, sie soll hörbar werden. Dafür sind christliche Gemeinden da. Und wo diese Botschaft ankommt, da bleibt das nicht ohne Folgen. „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“, sagt Jesus. Das ist keine
Forderung, das ist eine Verheißung. – Mein Jungscharleiter hat mir diese Verheißung in meine erste eigene Bibel hineingeschrieben, die ich als Jungscharbub von ihm geschenkt bekam: „Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ - Das wird Wirklichkeit unter uns, wo wir uns unseren Durst eingestehen und ihn löschen an der Quelle des lebendigen Wassers: bei Jesus, der uns einlädt: Wer da Durst hat, der komme zu mir und trinke! Ihr Lieben, wir werden dadurch eine einladende, durstlöschende Gemeinde auch für andere, dass wir selbst von Gott unsern Durst stillen lassen. Dass wir zu Jesus gehen und bei ihm vom Wasser des Lebens trinken. So sind wir ehrlich mit uns selbst und so stehen wir ehrlich voreinander: Als bedürftige Menschen mit leeren Händen und mit Durst, der von ganz tief in uns kommt. Christus will unsere Leere füllen. Er hört uns, wenn wir nach ihm rufen. Und er stillt unseren Durst mehr als wir bitten und verstehen können. Amen.