Predigt zum Nachlesen

Predigt am 15. Sonntag nach Trinitatis, 12. September 2021 in Hugsweier und Langenwinkel von Pfarrer Axel Malter

Predigttext: Hebräer 13, 7-9

7 Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach.

8 Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

9 Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade

Predigt:

Liebe Gemeinde,

Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben …, so haben wir es aus dem Hebräerbrief gehört.

Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben.

Heute gedenken wir an Pfarrer Wilhelm Seidel. 25 Jahre lang war er Pfarrer in Hugsweier von 1946 bis 1971. Die Älteren unter uns waren damals schon auf der Welt. Manche haben noch Erinnerungen an diese Zeit. Es dürften überwiegend Erinnerungen an Kindheit und Jugend sein. Es waren die ersten 25 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg. Vielleicht erinnert sich auch noch jemand, und sei es nur verschwommen, an diesen Pfarrer Seidel oder hat irgendwelche Erzählungen über ihn gehört.

Schon im April 2020 erinnerte ein Zeitungsartikel von Alfred Arbandt an Pfarrer Seidel. Anlass war die Überführung des Grabsteins von Pfarrer Seidel und seiner Frau Gudrun vom Hugsweierer Friedhof an die südliche Kirchenmauer.

1947 bis 1971 – liebe Gemeinde, das ist lange her! - Warum lohnt es sich, eines Pfarrers zu gedenken, dessen Wirksamkeit hier am Ort schon mehr als 50 Jahre zurückliegt und der schon vor 34 Jahren verstorben ist?

Alfred Arbandt schreibt: „In seiner Amtszeit gab es in der Kirchengemeinde Entwicklungen, die auch heute noch sichtbar sind und nachwirken“. So lese ich es in dem Zeitungsartikel. Zwei neue Glocken wurden in der Amtszeit von Pfarrer Seidel angeschafft. Und zwar  1949. - Ein neuer Kindergarten wurde gebaut und bezogen. Das war 1954. - 1963/64 wurde dann das Gemeindehaus gebaut und eingeweiht. - Und außerdem wurde auch noch die Kirche renoviert.

Alle Achtung! Das klingt nach einem strammen Arbeitspensum. – Dabei erinnern wir uns in diesem Zusammenhang aber nicht allein an Pfarrer Seidel, sondern wir erinnern uns an eine ganze Generation von Kirchengemeinderäten und Mitarbeiterinnen, die in diesen Jahren gemeinsam mit Pfarrer Seidel die Evangelische Kirchengemeinde Hugsweier geleitet und geprägt haben. Und wir denken an die Spender und an viele Helfer, die all das ermöglicht haben. – Pfarrer Seidel musste und konnte all das nicht im Alleingang bewältigen.

Und vielleicht – ja vielleicht hätte die Gemeinde für all das noch nicht einmal einen studierten Theologen gebraucht. -  Ich traue es den Hugsweierern jedenfalls durchaus zu, dass sie das auch ohne einen Pfarrer hinbekommen hätten.

Und so gedenken wir heute auch nicht in erster Linie deshalb an Pfarrer Seidel, weil er die Gemeinde bei den Dingen unterstützt hat, die damals in vielen Gemeinden in Angriff genommen wurden: Glocken mussten nach dem Krieg auch in anderen Gemeinden neu angeschafft werden, weil die alten Glocken im zweiten Weltkrieg beschlagnahmt worden waren. Kindergärten und Gemeindehäuser wurden in dieser Zeit auch anderswo gebaut. Und nötigenfalls wurden auch Kirchen renoviert. –

Aber auch wenn all das kein Alleinstellungsmerkmal von Pfarrer Seidel oder der Hugsweierer Kirchengemeinde ist, so ist es doch gut und wichtig, sich einmal daran zu erinnern, dass es Menschen aus Fleisch und Blut waren, Menschen wir Sie und ich, Pfarrer und Gemeindeglieder, die sich einmal für all das engagiert haben, was wir heute vorfinden als wäre es selbstverständlich. Solches Erinnern zeigt uns: Es ist eben nicht selbstverständlich, dass es all das gibt. – Und bis heute sind es Menschen aus Fleisch und Blut, die sich engagieren und treu dafür einsetzen: dass Sie hier in ihrer schmucken Dorfkirche Sonntag für Sonntag Gottesdienst feiern können, dass sich Gruppen und Kreise im Gemeindehaus zusammenfinden können, dass Kinder im Kindergarten betreut und gefördert werden, dass die Kirchenglocken gewartet werden, um zum Gottesdienst einzuladen und zum Gebet zu rufen, dass das Pfarrhaus von Zeit zu Zeit renoviert wird, dass hier und da notwendige Reparaturen ausgeführt werden, … und … und … und …

Im Übrigen: Auch dass nach der Hölle des zweiten Weltkriegs im Jahr 1949, als die Kirche in Hugsweier ihre neuen Glocken bekam, für ganz Deutschland ein Grundgesetz in Kraft trat, das bis heute auch die ungestörte Religionsausübung als ein Grundrecht garantiert, auch das war nicht selbstverständlich.

So mag uns das Gedenken an Pfarrer Seidel und an seine Zeit auch heute noch mit Dankbarkeit erfüllen.

Pfarrer Seidel gehörte während der Zeit des Dritten Reiches zur Bekennenden Kirche, so entnehme ich es dem Zeitungsartikel vom April 2020 weiter. Er gehörte also zu der Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland, die sich gegen den Einfluss des Nationalsozialismus in der Kirche zur Wehr setzte und die 1934 auf einer Synode in Barmen, ein entsprechendes Bekenntnis formulierte. Ihren Anfang nahm die Bekennende Kirche im Pfarrernotbund, für den sich der damalige Pfarrer Martin Niemöller stark machte: Um die 7000 deutsche Pfarrer unterzeichneten 1933 eine Verpflichtung, die mit folgenden Worten beginnt: „Ich verpflichte mich, mein Amt als Diener des Wortes auszurichten allein in der Bindung an die Heilige Schrift und an die Bekenntnisse der Reformation als die rechte Auslegung der Heiligen Schrift.“

Liebe Gemeinde, es war die Orientierung allein an den Worten der Bibel, die diesen Männern den rechten Kompass an die Hand gab. Es war die Orientierung allein an den Worten der Bibel, die ihnen gegen jeden Zeitgeist zuverlässig sagte, dass der „Arierparagraph“ der Nazis vom Übel war. Deshalb wollten sie ihn in ihrem Einflussbereich, also in der Kirche, unbedingt verhindern. Und darum, liebe Gemeinde, sind mir die Glocken und das Gemeindehaus, der Kindergarten und die Kirchenrenovierung, an denen Pfarrer Seidel beteiligt war und zweifellos seine Verdienste hat, nicht das Wichtigste, wenn wir heute an Pfarrer Seidel gedenken.

Das Wichtigste ist: Er war über 25 Jahre hinweg auch hier in Hugsweier ein Diener des Wortes. – Wie haben wir es zu Beginn der Predigt aus dem Hebräerbrief gehört (Hebr. 13,7): Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben … - die auch euch mit dem Wort Gottes den rechten Kompass an die Hand gegeben haben für Euer Tun und Lassen, für Euer Denken und Empfinden.  Dass Pfarrer Seidel hier in Hugsweier Euren Großeltern und Urgroßeltern das Wort Gottes gesagt hat, liebe Gemeinde, das war das Allerwichtigste während seiner 25 Jahre hier in Hugsweier. Denn das ist es, was die Gemeinde am Leben erhält als Gemeinde Jesu Christi: dass das Evangelium von Jesus Christus in ihr gesagt und gehört wird.

In Kirchen und in Gemeindehäusern, ja auch in Kindergärten erstirbt das geistliche Leben, wo das Wort des Evangeliums nicht gesagt und gehört wird, wo es nicht weitergegeben wird von einer Generation an die nächste. Und Glockengeläut verkommt zu leerem Geklingel, wo es nicht mehr zum Gottesdienst ruft, unter Gottes Wort, und ans Gebet erinnert.

Darum: Wenn wir heute an Pfarrer Seidel gedenken, dann geht es nicht um einen Personenkult oder ähnliches. Aber weil er Euch und Euren Vorfahren das Wort Gottes gesagt hat, deshalb lohnt es sich heute, dankbar zurückzublicken auf die Zeit, in der Pfarrer Seidel hier in Hugsweier gewirkt hat.

Nun ist der dankbare Rückblick das eine, liebe Gemeinde. Aber dabei darf es nicht bleiben. Dabei dürfen wir nicht stehenbleiben, wenn es in Hugsweier auch heute und morgen noch eine Gemeinde Jesu Christi geben soll. Vielmehr müssen wir das Engagement der Hugsweierer Christen damals – es war die Generation Eurer Eltern und Großeltern – auch als eine Verpflichtung für uns heute verstehen und es fortführen.

Pfarrer kommen und gehen. Wenn es gut geht, dann werden sie von engagierten Ehrenamtlichen unterstützt. Und wenn es noch besser geht, dann funktioniert es andersrum: Dann unterstützen Pfarrerinnen oder Pfarrer die engagierten Ehrenamtlichen einer Gemeinde mit dem, was sie gelernt haben und was sie an Gaben mitbringen. Liebe Gemeinde, die äußeren Voraussetzungen sind gut in Hugsweier: Eure Kirche steht, ihr Dach ist dicht und sie ist voll funktionsfähig. Euer Gemeindehaus ebenso. Die Glocken werden regelmäßig gewartet. Und dem Team von Erzieherinnen in Eurem Kindergarten vertrauen viele Eltern ihre Kinder an. Ein Team von engagierten Kirchengemeinderäten und Mitarbeiterinnen setzt sich für all das ein, indem sie Zeit und Energie, Phantasie, ihr Können und ihre Begabungen investieren. Vergesst aber bei alledem nicht, was die Gemeinde Jesu Christi am Leben hält: nämlich dass Gottes Wort in ihr gesagt und gehört wird - das Wort des Evangeliums von Jesus Christus. – Das ist die erste und die vornehmste Aufgabe eines Pfarrers oder einer Pfarrerin. – Aber es ist nicht nur seine oder ihre Aufgabe allein. Es ist die Aufgabe von Euch allen. Gottes Wort will nämlich nicht nur Inhalt der Sonntagspredigt sein. Es kann auch weitergesagt werden im Alltag: im Gespräch auf der Straße oder beim Einkaufen; beim Kranken- oder beim Geburtstagsbesuch, bei der Diskussion im Verein oder am Stammtisch. Es kann weitergegeben werden auch von Menschen, die nicht die Helden im freien Reden sind, zum Beispiel wenn jemand eine Grußkarte mit einem Satz aus der Heiligen Schrift verschickt oder wenn jemand eine CD verschenkt mit christlichen Liedern und biblischem Inhalt.

Paulus hat einmal mit Blick auf sich und seinen Nachfolger als Apostel in der Gemeinde in Korinth gesagt: Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen. Aber Gott hat das Gedeihen gegeben. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter und ihr seid Gottes Ackerfeld. (1. Kor 3,6.9)

Lasst uns gemeinsam Gottes Ackerfeld weiter bearbeiten, auch hier unter uns in Hugsweier: Lasst uns pflanzen und begießen und um das Gedeihen beten. Lasst uns so das Wort Gottes in der Hugsweierer Kirchengemeinde lebendig halten.

Und lasst uns bei alledem nicht vergessen, dass die Gemeinde Jesu Christi, dass die Gemeinschaft der Heiligen größer ist als unsere Kirchengemeinde hier und heute in Hugsweier. Es kann nämlich befreiend sein, wenn wir unseren Blick entsprechend weiten. Das kann befreiend sein gerade mit Blick auf unsere eigenen Anstrengungen, auf unsere Erfolge oder Misserfolge.

In meinem mündlichen Examen wurde ich gefragt: „Was ist denn eine Doxologie?“ Und ich antwortete mit der Übersetzung des griechischen Wortes: „Eine Doxologie ist ein Lobpreis Gottes.“ – Mein Prüfer war damit aber noch nicht zufrieden. Er meinte, dass eine Doxologie mehr ist als das Lob Gottes, das von einem Einzelnen gesprochen oder gesungen wird und sah mich erwartungsvoll an. – Ich kam aber noch immer nicht drauf, was er von mir hören wollte. – Freundlicherweise versuchte er, mir auf die Sprünge zu helfen: „Denken Sie doch einmal an unsere Abendmahlsliturgie!“ – Aber noch immer gab es leider keinen Geistesblitz auf meiner Seite. – Dann zitierte er die Abendmahlsliturgie selber: „Dafür loben Dich alle Engel und Erzengel und das Heer der himmlischen Heerscharen, mit denen auch wir unsere Stimme erheben und singen: …“ -

Aha, darauf also wollte er hinaus: Eine Doxologie ist mehr als der Lobpreis eines Einzelnen. Es ist der Lobpreis Gottes, der im Himmel erklingt unter Gottes Engeln und im Heer der himmlischen Heerscharen. Es ist der Lobpreis Gottes, der in dieser Zeit ohne Pause den ganzen Globus umspannt und der in Gottes Ewigkeit erklingt. Es ist der höhere Chor zu dem wir einmal gehören werden, wenn Gott uns nach diesem Leben durch die Auferstehung in sein ewiges Reich holt.

Wenn wir als Gemeinde hier in Hugsweier in Gottes Lob einstimmen, etwa am Sonntagmorgen im Gottesdienst, dann werden wir schon hier und jetzt Teil dieses höheren Chors. – Und wenn das vielleicht mal dürftig und dünn klingt, dann mag uns der Gedanke trösten, dass das ja auch nur ein kleiner Teil ist: ein bescheidener Beitrag in diesem höheren Chor, den Engel und Erzengel anführen zu Gottes Lob.

Manchmal tut es gut, liebe Gemeinde, den Blick zu erheben über unser Hier und Heute hinaus: durch einen Blick zurück auf Personen und Generationen, die auf dieser Erde oder in unserem Dorf vor uns die Kirche Jesu Christi waren. Durch einen Blick um uns herum auf andere Kirchengemeinden, auf die Kirchen in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten. Und auch durch einen Blick voraus auf die, die wohl einmal nach uns Kirche Jesu Christi sein werden. – Und durch einen Blick über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg auf das, was Jesus das Reich Gottes nennt und uns darüber gesagt hat.

Unser Pflanzen und Begießen im Hier und Jetzt wird dadurch in ein neues Licht gerückt. Es wird klar: „Gott ist‘s, der das Gedeihen gibt.“ – Für Gelingen oder Misslingen, Wohl oder Wehe der Kirche Jesu Christi, sind nicht wir zuständig. Das ist allein Gottes Zuständigkeit. Und sein Geist weht, wann und wo er will.

Unsere Zuständigkeit bleibt: Pflanzen und Begießen, das heißt: die Verbreitung des Evangeliums von Jesus Christus auf mancherlei Art zu fördern. Diese Zuständigkeit dürfen und sollen wir mit Ernst und gewissenhaft wahrnehmen: als Pfarrerinnen und Pfarrer, als Kirchengemeinderätinnen und Kirchengemeinderäte, als Mitarbeiterinnen im Kindergottesdienst oder im Seniorenkreis … als Christen in der Nachfolge von Jesus.

Pflanzen und Begießen – Jesus sagt es einmal so: Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker. Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und lehrt sie alles zu halten, was ich euch befohlen habe. – Pflanzen und Begießen, liebe Gemeinde, das ist unsere Zuständigkeit und wir sollen sie wahrnehmen mit Ernst und Eifer, aber auch in aller Gelassenheit und ohne unsere Zuständigkeit zu überschätzen! Denn Gott allein ist es, der das Gedeihen gibt.

Der Liederdichter Georg Neumark beschreibt unsere und Gottes Zuständigkeit einmal so:

Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht‘ das Deine nur getreu.

Und trau des Himmels reichem Segen. So wird er bei dir werden neu.

Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

Amen.