Predigt zum Nachlesen

Predigt am Pfingstsonntag, 05. Juni 2022 von Pfarrer Axel Malter

Schriftlesung und Predigttext: 4. Mose 11, 4-17.24-29
4 Das Volk Israel wurde von der Gier gepackt und sie begannen wieder zu weinen und sagten: Wenn uns doch jemand Fleisch zu essen gäbe!
5 Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst zu essen bekamen, an die Gurken und Melonen, an den Lauch, an die Zwiebeln und an den Knoblauch.
6 Doch jetzt vertrocknet uns die Kehle, nichts bekommen wir zu sehen als immer nur Manna.
7 Das Manna war wie Koriandersamen und es sah aus wie Bedolachharz.
8 Die Leute pflegten umherzugehen und es zu sammeln; sie mahlten es mit der Handmühle oder zerstampften es im Mörser, kochten es in einem Topf und bereiteten daraus Brotfladen. Es schmeckte wie Ölkuchen.
9 Wenn bei Nacht der Tau auf das Lager fiel, fiel auch das Manna.
10 Mose hörte die Leute weinen, eine Sippe wie die andere; jeder weinte am Eingang seines Zeltes. Da entbrannte der Zorn des Herrn; Mose aber war verstimmt
11 und sagte zum Herrn: Warum hast du deinen Knecht so schlecht behandelt und warum habe ich nicht deine Gnade gefunden, dass du mir die Last mit diesem ganzen Volk auferlegst?
12 Habe denn ich dieses ganze Volk in meinem Schoß getragen oder habe ich es geboren, dass du zu mir sagen kannst: Nimm es an deine Brust, wie der Wärter den Säugling, und trag es in das Land, das ich seinen Vätern mit einem Eid zugesichert habe?
13 Woher soll ich für dieses ganze Volk Fleisch nehmen? Sie weinen vor mir und sagen zu mir: Gib uns Fleisch zu essen!
14 Ich kann dieses ganze Volk nicht allein tragen, es ist mir zu schwer.
15 Wenn du mich so behandelst, dann bring mich lieber gleich um, wenn ich überhaupt deine Gnade gefunden habe. Ich will mein Elend nicht mehr ansehen.
16 Da sprach der Herr zu Mose: Versammle siebzig von den Ältesten Israels vor mir,
Männer, die du als Älteste des Volkes und Listenführer kennst; bring sie zum Offenbarungszelt! Dort sollen sie sich mit dir zusammen aufstellen.
17 Dann komme ich herab und rede dort mit dir. Ich nehme etwas von dem Geist, der auf
dir ruht, und lege ihn auf sie. So können sie mit dir zusammen an der Last des Volkes
tragen und du musst sie nicht mehr allein tragen.
[…]
24 Mose ging hinaus und teilte dem Volk die Worte des Herrn mit. Dann versammelte er siebzig Älteste des Volkes und stellte sie rings um das Zelt auf.
25 Der Herr kam in der Wolke herab und redete mit Mose. Er nahm etwas von dem Geist, der auf ihm ruhte, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Sobald der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in prophetische Verzückung, die kein Ende nahm.
26 Zwei Männer aber waren im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad. Auch über sie war der Geist gekommen. Sie standen in der Liste, waren aber nicht zum Offenbarungszelt hinausgegangen. Sie gerieten im Lager in prophetische Verzückung.
27 Ein junger Mann lief zu Mose und berichtete ihm: Eldad und Medad sind im Lager in prophetische Verzückung geraten.
28 Da ergriff Josua, der Sohn Nuns, der von Jugend an der Diener des Mose gewesen war, das Wort und sagte: Mose, mein Herr, hindere sie daran!
29 Doch Mose sagte zu ihm: Willst du dich für mich ereifern? Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!

Predigt:
Liebe Gemeinde, man denkt ja manchmal: Pfingsten, das ist lange her. Fast 2000 Jahre. Es war einmal: Da kam der Heilige Geist in Jerusalem auf die versammelten Jünger herab, wie Feuerzungen, mit einem Hauch wie der Wind. Und dann konnten sie in allen Sprachen der Erde von Gott reden. Viele kamen zum Glauben an Jesus Christus. das war dann der Geburtstag der christlichen Kirche. Eine alte, alte Geschichte ist das.
Eben haben wir eine Pfingstgeschichte gehört, die sogar noch älter ist! Mehr als 3000 Jahre. Ganz aus den Anfängen vom Volk Israel ist die Pfingstgeschichte aus dem 4. Buch Mose. Eine Geschichte von Gottes Geist aus der Zeit, als Mose noch mit den entflohenen Sklaven in der Wüste umherzog. Vielleicht erstaunt Euch das: Die Sache mit dem Heiligen Geist fängt nicht erst mit der christlichen Gemeinde an. Nein, die Bibel sagt uns: Die Geschichte von Gottes Geist mit den Menschen ist schon sehr viel älter.
„Geist, der einst der heiligen Männer, Könige und Propheten Schar, der Apostel und Bekenner Trieb und Kraft und Segen war.“ (EG 137,1), so haben wir es gerade eben gesungen. Und dann zählt das Lied allerlei geisterfüllte Leute aus dem Alten Testament auf: Abraham und Mose. Weiter geht es mit David und dem Propheten Elia. Und erst dann kommen die Apostel aus dem Jüngerkreis von Jesus. Wenn Ihr also bisher Pfingsten für ein Ereignis von vor 2000 Jahren gehalten habt, dann erweitert Ihr heute Euren Horizont um nochmal 1000 Jahre und mehr - und stellt fest: Die Geschichte von Gottes Geist mit den Menschen beginnt schon sehr, sehr viel früher.
Und wenn wir uns heute diesen alten Geschichten von Gottes Geist zuwenden, dann können wir unsern Horizont gleich noch einmal erweitern, aber diesmal zeitlich genau in
die andere Richtung. Es ereignet sich nämlich auch heute noch unter uns, dass der Heilige Geist herabkommt, auf uns ruht und uns erfüllt, uns bewegt und begeistert, uns gemeinsam weiter kommen lässt. Dass wir spüren: Gott ist ganz nah bei uns. Die Geschichte von Gottes Geist ist nicht nur lang, lang her, sondern sie ist auch ganz, ganz nah an uns dran. Und das ist ja auch der Grund, warum wir als Christen so ein altes Buch wie die Bibel
lesen: Nicht, damit wir darüber belehrt werden, was früher einmal geschehen ist, was Gott früher einmal getan hat, nach dem Motto: „Es war einmal…“. Sondern wir beschäftigen uns mit der Bibel, damit wir für unser Leben etwas darüber erfahren, wie Gott bis heute ist, wie er handelt, wie sein Heiliger Geist aktiv ist mitten unter uns. Damit wir für uns hier und jetzt und heute einen Zugang finden zu Gott. Deshalb lesen wir in der Bibel.
Probieren wir es also einmal aus, ob wir uns in der alten Pfingstgeschichte aus Moses Zeiten wieder finden können. Ob wir da Dinge entdecken über uns selber und über Gott, die uns auch heute, hier und jetzt betreffen. Ich meine, dass wir uns in dieser alten Geschichte aus dem 4. Mosebuch an einigen Stellen durchaus wieder finden können: ob nun im gierigen Volk? Oder im überlasteten Mose? Oder bei den begeisterten Ältesten?
Schauen wir uns zuerst das Volk an: „Da fingen die Israeliten wieder an zu weinen und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und an die Kürbisse, die Melonen und den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. Nun aber ist unsre Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als das Manna.“
Großes Jammern und Klagen im Volk. Dabei waren die Israeliten gewiss nicht am Verhungern. Sie hatten das Manna, das Himmelsbrot. Jeden Morgen lag es frisch wie Tau rings um das Lager. Sie konnten es einsammeln, im Topf kochen oder zu Mehl zermahlen und Kuchen damit backen, die einen Geschmack hatten wie Ölkuchen. Hungern musste das Volk also nicht, aber es war ihnen nicht gut genug, was sie da von Gott bekamen. Am Anfang war das wunderbar gewesen, aber mit der Zeit meldete sich eine diffuse Gier nach Anderem, nach Besserem, nach Neuem, irgendwie nach mehr. Nicht Hunger, sondern Gelüste ließen die Israeliten weinen und klagen. Das Volk war „lüstern“ geworden, heißt es in Martin Luthers Übersetzung.
Kommt uns das bekannt vor, von unserm eigenen Volk? So eine Maßlosigkeit in der Lebenshaltung? Nicht nur beim Essen, überhaupt beim Konsum? Es muss immer mehr, immer neuer, immer besser sein, die Autos immer schneller, die Urlaubsflüge immer weiter, beim Essen Fleisch so viel und so billig wie möglich, Erdbeeren zu jeder Jahreszeit, beim Fernsehen oder beim Smartphone immer das neueste Modell? Schon die Kleinsten
legen größten Wert darauf, damit sie mithalten können, vor ihren Klassenkameraden! Kommen uns solche Gelüste, so eine Gier nach mehr, irgendwie bekannt vor? Und dann der verklärte Blick zurück in die gute alte Zeit? Es war ja alles so schön in Ägypten. Diesen verklärten Blick gibt es ja nicht nur beim Volk Israel. Den gibt es auch in typisch deutschen Varianten: Hitlers Autobahnen, echte deutsche Wertarbeit von früher,
die Reisen mit Kraft-durch-Freude. Oder die Kinderkrippen und die Vollbeschäftigung in der DDR. Ausländer gab es keine und alle Verbrecher wurden sofort weggesperrt (außer denen, die das Land regiert haben natürlich) - Was war das doch alles schön! Oder jedenfalls nicht alles schlecht … - Die Fische in Ägypten, die Kürbisse, die Melonen, der Lauch … Darüber kann man die Peitschen in Ägypten fast vergessen, die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit im System. – Ganz fremd sind uns auch in Deutschland solche Gedanken nicht. Oder findet Ihr Euch eher in dem überlasteten Mose wieder? – „Mose sprach zum Herrn: Warum bekümmerst Du Deinen Knecht? Warum finde ich keine Gnade vor Deinen Augen, dass Du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? Habe ich denn all das Volk geboren, dass Du zu mir sagen könntest: Trage es auf deinen Armen wie ein Kind? Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, es ist mir zu schwer. Wenn Du aber doch so mit mir tun willst, so töte mich lieber, damit ich mein Unglück nicht sehen muss.“ Mose ist schwer überfordert, überlastet. Alles ist ihm zu viel! Heute würde man sagen: Er leidet an akutem Burnout. Er ist ausgebrannt, erschöpft, völlig am Ende. Sein seelisches Gleichgewicht steht kurz vor der Depression oder schon mittendrin. Am liebsten möchte er tot sein und sich nicht weiter plagen müssen mit dieser Last. „Dass Du diese Last auf mich legst !“ – Ich denke, da kann mancher mit seufzen. Wer sich überlastet fühlt von beruflichen oder schulischen Anforderungen, wer sich überfordert fühlt von familiärem Stress oder Eheproblemen, wer unter der Last einer Krankheit leidet. – „Ich vermag all das nicht allein zu tragen, es ist mir zu schwer!“ – Mancher, der heute hier sitzt, hat wohl schon so geseufzt. Manche fühlt sich vielleicht ähnlich überlastet wie Mose. Auch wenn keiner von uns die Last eines ganzen Volkes tragen muss, s0 kann es doch zu viel sein.
Und bei Mose, weil er ja ein gläubiger Mann ist, kommt zu seiner Stress-Krise die Glaubenskrise gleich noch dazu! – „Warum finde ich keine Gnade vor Deinen Augen?“, fragt er. „Gott hat mich vergessen. Ich bin ihm offensichtlich egal. Er kümmert sich nicht um mich. Er meint es nicht wirklich gut mit mir. Er ist nicht wirklich gnädig und liebevoll zu mir. Er hat mich fallengelassen. Er ist mir böse.“ – Solche Gedanken können gerade
gläubige Menschen zusätzlich zu ihren Sorgen und Problemen auch noch quälen, wenn die Dinge in ihrem Leben nicht so laufen, wie sich sich das wünschen.
„Warum finde ich keine Gnade vor Deinen Augen?“ – Es ist nicht Unglaube, so zu fragen und zu denken. Mose wird überhaupt nicht dafür getadelt, dass er solche düsteren und vorwurfsvollen Gedanken hegt und vor Gott ausspricht. Im Gegenteil: Er bekommt Hilfe. – Hilfe, die in dem letzten Satz von seiner Klage schon angedeutet ist: „Ich vermag all das nicht allein zu tragen.“ Mose wird von Gott eben nicht allein gelassen. Er bekommt Hilfe. Hilfe von Gottes Geist. Er muss nicht alleine weiter kämpfen. Er muss nicht die ganze Last alleine tragen! – Gott teilt Mose mit, wie er zu helfen gedenkt: Der Herr sprach zu Mose: Versammle siebzig
von den Ältesten Israels vor mir, Männer, die du als Älteste des Volkes und Listenführer kennst; bring sie zum Offenbarungszelt! Dort sollen sie sich mit dir zusammen aufstellen. 17 Dann komme ich herab und rede dort mit dir. Ich nehme etwas von dem Geist, der auf dir ruht, und lege ihn auf sie. So können sie mit dir zusammen an der Last des Volkes tragen und du musst sie nicht mehr allein tragen. Und genau so geschieht es. – Gottes Geist macht andere dazu fähig, dass sie mittragen, mit anfassen, Verantwortung übernehmen. Ich finde es allerdings bemerkenswert, dass Mose sich diese Leute selber herholen muss. Das übernimmt der Heilige Geist nicht für ihn. Er stellt ihm seine Hilfe nicht direkt vor die Nase. Mose muss sich selber aufmachen und Leute ansprechen: „Versammle siebzig von den Ältesten Israels vor mir, …“, trägt Gott ihm auf. Und wenn nun heute jemand unter uns ist, dem seine Lasten gerade unerträglich schwer werden, dann könnte der Ratschlag von Gott heute möglicherweise der sein: „Versammle Dir – nicht unbedingt 70, Du musst ja auch kein ganzes Volk tragen – aber sammle vielleicht sieben Leute um Dich, von denen Du weißt, dass sie zum Beispiel für Dich beten oder gut zuhören können. Oder die ähnliche Probleme schon durchgestanden haben und Dich verstehen. Oder die Dir ganz praktisch unter die Arme greifen können. Hol Dir Hilfe, sprich Leute an, zu denen Du Vertrauen hast. Gottes Geist wird sie fähig machen, mit Dir gemeinsam zu tragen, was Dir alleine zu schwer wird. – Bring Deine Sache vor Gott, klag ihm Dein Leid. So wie Mose das getan hat. Und sammle Dir Leute, die Dich unterstützen können. Gemeinsam und mit Gottes Geist werdet Ihr weiter kommen als Du ganz allein.“
Ja, ich finde es bemerkenswert, dass Gott so hilft: indem er dem Mose bewährte Männer an die Seite stellt, die er dann mit seinem guten Geist ausrüstet. – Er hätte ja auch dem Mose einfach noch mehr von seinem Heiligen Geist geben können, damit Mose wieder auf die Füße kommt und es alleine schafft. – Aber offensichtlich hat Gottes Geist etwas mit Gemeinschaft zu tun. Gott will keine geistlichen Superpower-Einzelkämpfer, sondern
Leute, die in seinem Geist zusammenarbeiten. – So kommt wieder Mut und Hoffnung, Schwung und Kraft in die verfahrene Sache. So kann es vorwärts gehen. So hilft Gott: Sammle Dir Leute, die mit Dir gemeinsam tragen. Ich will sie mit meinem Geist ausrüsten.“ Zum Schluss lasst uns noch kurz die begeisterten Ältesten in den Blick nehmen! Vielleicht finden wir uns ja auch ich ihnen ein Stück weit wieder. „Da kam der Herr hernieder
und nahm von seinem Geist, der auf Mose war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.“ – Habt Ihr bemerkt, dass es da heißt „als der Geist Gottes auf ihnen ruhte“? Ich finde es wunderschön, wie Gottes Geist Ruhe hineinbringt in diese Situation voller Stress und Druck und Erschöpfung. „Als der Geist Gottes auf ihnen ruhte, gerieten sie in
Verzückung wie Propheten.“ Was auch immer das meint, es klingt gut, dass die Ältesten verzückt, entzückt, begeistert – jedenfalls irgendwie gut drauf waren, als sie Gottes Geist
und eine Aufgabe übertragen bekommen. Es ist doch schön, dass das gemeinsame Lastentragen so Spaß machen kann! Ich bin überzeugt, dass sich davon auch heute noch etwas erfahren lässt! Von der Freude an einer gemeinsamen Aufgabe vor Gott. Manchmal erleben wir etwas davon in der Jugendarbeit, wenn wir gemeinsam mit vielen Helferinnen und Helfern ein großes Projekt stämmen: Zeltlager mit 60 Kindern und 20 Mitarbeitern. Allein könnte das kein Mensch tragen. Aber gemeinsam – unter Gottes Geist – kann Erstaunliches gelingen. Und es kann dazu noch Spaß machen! Die Begeisterung kann noch weitere Leute anstecken.
Manchmal wissen wir gar nicht wohin mit all den motivierten jugendlichen Mitarbeiten. – „Wenn doch das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn der Herr seinen Geist doch auf sie alle legte!“, sagt Mose.
Ja, vielleicht findet sich auch mancher von Euch hier unter den Propheten - unter den Leuten, die mit Begeisterung eine Aufgabe von Gott erfüllen, die andere unterstützen, die Verantwortung übernehmen, die Lasten mittragen und im Gebet für andere einstehen. Die fröhlich von Gott reden und singen. Von solchen Leuten kann die Welt - und kann auch Hugsweier - gar nicht genug haben. Amen.