Predigt zum Nachlesen

Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis, 10. Oktober 2021 in Hugsweier  und Langenwinkel von Pfarrer Axel Malter

Predigttext: Jesaja 38,1-5 und 9-20

1 König Hiskia wurde todkrank. Und der Prophet Jesaja […] kam zu ihm und sprach zu ihm: So spricht der HERR: Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben. 2 Da wandte Hiskia sein Angesicht zur Wand und betete zum HERRN 3 und sprach: Gedenke doch, HERR, wie ich vor dir in Treue und ungeteilten Herzens gewandelt bin und habe getan, was dir gefallen hat. Und Hiskia weinte sehr. 4 Da geschah das Wort des HERRN zu Jesaja: 5 Geh hin und sage Hiskia: So spricht der HERR, der Gott deines Vaters David: Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will deinen Tagen noch fünfzehn Jahre zulegen. […]
9 Dies ist das Lied Hiskias, des Königs von Juda, nachdem er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund geworden war: 10 Ich sprach: Nun muss ich zu des Totenreiches Pforten fahren in der Mitte meines
Lebens, da ich doch gedachte, noch länger zu leben. 11 Ich sprach: Nun werde ich den HERRN nicht mehr schauen im Lande der Lebendigen, nun werde ich die Menschen nicht mehr sehen mit denen, die auf der Welt
sind. 12 Meine Hütte ist abgebrochen und über mir weggenommen wie eines Hirten Zelt. Zu Ende gewebt hab ich mein Leben wie ein Weber; er schneidet mich ab vom Faden. Tag und Nacht gibst du mich preis;
13 bis zum Morgen schreie ich um Hilfe; aber er zerbricht mir alle meine Knochen wie ein Löwe; Tag und Nacht gibst du mich preis. 14 Ich zwitschere wie eine Schwalbe und gurre wie eine Taube. Meine Augen sehen
verlangend nach oben: Herr, ich leide Not, tritt für mich ein! 15 Was soll ich reden und was ihm sagen? Er hat's getan! Entflohen ist all mein Schlaf bei solcher Betrübnis meiner Seele. 16 Herr, lass mich wieder genesen und leben! 17 Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück. 18 Denn die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue; 19 sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute. Der Vater macht den Kindern deine Treue kund. 20 Der HERR hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des HERRN!

Predigt:

Liebe Gemeinde, König Hiskia wurde todkrank. – Eine Lage, in die wir alle von heute auf morgen kommen können. Eine Lage, die vielleicht manche unter uns auch schon einmal durchstehen mussten. - Wer ist nun dieser König Hiskia, von dem uns das Jesajabuch hier berichtet?
Hiskia war ein König zur Zeit Jesajas. Er war König über das Südreich Juda und er regierte in den Jahren 725 bis 697 vor Christus in Jerusalem. Während seiner Regierungsjahre hatten die Assyrer das Nordreich Israel bereits eingenommen. Und auch viele Städte des Südreichs, über das er regierte, waren den Assyrern bereits zum Opfer gefallen. Aber Hiskia wollte sich dem übermächtigen Assyrerkönig trotz allem nicht ergeben und die Stadt Jerusalem nicht an den Feind ausliefern.

Hiskia hatte den Tempelgottesdienst vom Einfluss fremder Religionen befreit, er hatte den Götzendienst aus dem Land verbannt. – In den Königsbüchern wird er deshalb gelobt: Hiskia „… tat, was dem Herrn wohl gefiel, ganz wie sein Vater David.“ (2. Könige 18,3), lesen wir dort. Und: Hiskia „… vertraute dem HERRN, dem Gott Israels, so dass unter allen Königen von Juda seinesgleichen nach ihm nicht war noch vor ihm gewesen ist. Er hing dem HERRN an und wich nicht von ihm ab und hielt seine Gebote, die der HERR dem Mose geboten hatte. Und der HERR war mit ihm, und alles, was er sich vornahm, gelang ihm. (2. Könige 18,5-6)
Aber dann wird dieser so gelobte König schwer krank: todkrank. – Es gibt keinen Zweifel, worauf diese Krankheit hinausläuft. Auch Jesaja, der Prophet Gottes, kann ihm nur raten: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben.“ – Mit einem Mal geht es dem König nicht anders als es jedem einfachen Bürger in so einer Situation geht: Es zieht ihm den Boden unter den Füßen weg. Er dreht sich auf seinem Krankenlager
mit dem Gesicht zur Wand und bricht innerlich zusammen. Er schluchzt und weint. Und immer wieder wendet er sich aus seinem Schluchzen heraus an Gott. Er klagt ihm seine Schmerzen und seine Schlaflosigkeit. Er klagt Gott, dass er noch nicht bereit ist, zu sterben. Dass er doch mitten im Leben steht. Er hält Gott entgegen, dass er noch nicht bereit ist, dass alle zwischenmenschlichen Beziehungen durch den Tod jetzt ihr jähes Ende finden.
Hiskia fühlt sich von Gott aufgegeben: Zweimal klagt er: „Tag und Nacht gibst Du mich preis.“ Liebe Gemeinde, bevor wir danach fragen, ob wir von Hiskia in seiner Lage etwas lernen können, möchte ich ihm theologisch an drei Punkten widersprechen. Einfach, damit sich nichts Falsches unter uns einprägt: Erstens: Hiskia schließt aus der Tatsache, dass er todkrank ist: Ich bin von Gott verlassen. – Zweimal klagt er: „Tag und Nacht gibst du mich preis.“ – Bei allem Verständnis auf der emotionalen Ebene, bei allem Verständnis für sein Gefühl der Gottverlassenheit – selbst Jesus sagt ja am Kreuz „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“: Hier muss dennoch widersprochen werden!

Das letzte Wort, das Matthäus vom auferstandenen Jesus überliefert, lautet: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage …“ Das gilt auch für Tage von Krankheit und Sterben und Tod! – Selbst wenn es sich ganz anders anfühlen mag: Gott verlässt uns nicht, auch nicht auf dem Krankenlager, auch nicht in Schmerzen, auch nicht im Sterben. Ich bin dem Liederdichter Georg Neumark sehr sehr dankbar dafür, dass er uns ermahnt: „Denk nicht in deine Drangsalshitze, dass du von Gott verlassen seist!“ Und trotzdem: Natürlich dürfen wir es Gott entgegenhalten, wenn es sich nun mal nach Gottverlassenheit anfühlt! – So wie es Hiskia getan hat. Und so wie es auch Jesus am
Kreuz getan hat. - Nur ist dieses Gefühl nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist: Gott ist da, er ist bei uns, auch wenn wir es nicht sehen oder fühlen können. Der zweite Punkt, an dem ich Hiskia widersprechen muss: Hiskia meint, dass er durch seine Gottesfurcht und durch seine frommen Taten als König etwas anderes verdient habe als Krankheit und frühen Tod. „Gedenke doch, HERR, wie ich vor dir in Treue und mit ungeteiltem Herzen gewandelt bin und habe getan, was dir gefallen hat.“, so hält er es Gott entgegen. – Seine Genesung führt er schließlich darauf zurück, dass Gott ihm alle seine Sünde vergeben hat. Da wird ein Zusammenhang von persönlichem Tun und Ergehen vorausgesetzt, einen Zusammenhang von Schuld und Strafe, den es so nicht gibt. Es ist nicht so, dass die Guten und Gottesfürchtigen belohnt werden mit einem langen Leben und mit einem
seligen Sterben in hohem Alter rechnen dürfen, während die Bösen und die Gottlosen mit frühem Tod bestraft werden und qualvoll sterben müssen. Diesen Zusammenhang von Tun und Ergehen gibt es nicht. – Das mag man bedauern. Man mag es als ungerecht empfinden. Daran mag man zu kauen haben und fast daran verzweifeln. – Dann ist man in guter Gesellschaft, liebe Gemeinde. Denn auch der Beter des 73. Psalms verzweifelt schier über dieser Ungerechtigkeit, bevor er sich dazu durchringt und zu Gott sagt: „Dennoch bleibe ich stets an Dir.“ Es gibt diese Art von Gerechtigkeit nicht auf dieser Welt: dass die Bösen bestraft und die Guten belohnt werden. – Und wo wir trotzdem so tun und argumentieren, werden wir vielen Menschen nicht gerecht und fügen ihrem körperlichen oder seelischen Leid noch großen Kummer im Glauben hinzu.
Noch einmal tut mir Georg Neumark gut mit seinen Zeilen: „Denk nicht in deiner Drangsalshitze, dass du von Gott verlassen seist, und dass ihm der im Schoße sitze, der sich mit stetem Glücke speist!“
Und noch einem dritten Irrtum Hiskias müssen wir als Christen widersprechen. Hiskia behauptet: „ … die Toten loben dich nicht … und die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue …“. Wir müssen Hiskia natürlich zugutehalten: Er wusste noch nichts von Jesus, von seiner Auferstehung und von seinem Versprechen, auch uns durch Auferstehung und Neugeburt ins ewige Leben zu ziehen. Aber wenn Hiskia behauptet „Die Toten loben dich nicht!“, dann müssen wir ihm als Christen entgegenhalten: Der wahre Lobpreis Gottes, der geht doch erst richtig ab in Gottes Ewigkeit, wo die Menge der himmlischen Heerscharen den Herrn Zebaoth lobt. Und diesen Lobpreis, den werden wir erst hautnah erleben, nachdem wir den Tod geschmeckt haben und wenn wir durch die Auferstehung um Jesu willen teilhaben am ewigen und himmlischen Leben. – Und: denen, die in die Grube fahren, denen bleibt überhaupt nichts anderes übrig, als auf Gottes Treue zu hoffen und darauf zu warten, dass er sie durch die Auferstehung von den Toten ins ewige Leben ruft. Den Gottes Treue über unseren Tod hinaus ist genau das, was uns Jesus Christus versprochen hat. Genau das, womit wir um Jesu Christi willen rechnen dürfen. So, liebe Gemeinde, nachdem wir das alles geklärt haben, können wir nun aber auch etwas lernen von Hiskia. Ich nenne wiederum drei Dinge. Erstens: In einer Situation, als über Hiskia alles zusammenbricht, als er keinen Menschen mehr sehen oder sprechen mag, als er sich auf seinem Krankenlager zur Wand dreht, und nur noch heult, da kann er sich doch noch an Gott wenden. Da kann sein Heulen und Schluchzen doch immer wieder ins Gebet übergehen. Zusammen mit seinen Tränen kann sein Herz vor Gott ausschütten, Und dabei muss er überhaupt nicht darauf achten, ob es nun alles theologisch korrekt ist oder nicht, was er da von sich gibt. – Wir lernen von Hiskia: Bete in der Zeit, dann kannst Du’s in der Not. Zweitens: Hiskia wagt es, Gott zu widersprechen. Gottes Wort durch den Propheten Jesaja hatte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen: „Bestell dein Haus, denn du wirst sterben.“ – Aber das hindert Hiskia überhaupt nicht daran, Gott zu bitten: „Herr, lass mich wieder genesen und leben!“ Hiskia sagt Gott sehr deutlich, dass er noch gerne ein paar Jahre leben möchte und in der Mitte seiner Jahre noch nicht bereit ist, zu sterben. – Hiskia wagt es, gegen Gottes Beschluss anzubeten. Er rechnet damit, dass seine Worte Gottes Herz erreichen und in Gott etwas bewirken können. Solches Beten zeugt von einem langen Vertrauensverhältnis zwischen Hiskia und Gott. Hiskia weiß
offenbar, dass er vor Gott kein Blatt vor den Mund nehmen muss. Und vielleicht lockert ihm seine Situation zusätzlich die Zunge. Schließlich hat er nichts mehr zu verlieren? Wie auch immer, wir können von Hiskia lernen: Unseren Bitten im Gebet dürfen wir freien Lauf lassen. Und wir dürfen darauf vertrauen, dass unser Gebet, wo es von Herzen kommt, auch Gottes Herz erreicht. Was wir von Herzen beten, das lässt Gott nicht ungerührt.
Und das dritte, was wir von Hiskia lernen können: Hiskias Gebet, nachdem er tatsächlich wieder gesund geworden ist, schließt mit den Worten: „Der Herr hat mir geholfen, darum wollen wir singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn!“ Singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn! – Das bleibt übrig als das Allerwichtigste und als der einzige Vorsatz, nachdem im Angesicht des Todes alles auf dem Prüfstand
war. – Singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn! – Liebe Gemeinde müssen wir denn erst durch harte Schicksalsschläge geläutert werden, bevor auch wir erkennen, was wichtig ist im Leben? – Wichtiger als die neue Küche, der gepflegte Garten, die gefegte Straße, wichtiger als das eigene Haus, der gutbezahlte Job, wichtiger als die Meinung der Nachbarn oder der Kolleginnen, wichtiger sogar als Familie und Verwandtschaft … Wichtiger als all das, was wir einmal hier zurücklassen werden, ist das eine: Singen und spielen, solange wir leben, im Hause des Herrn! Amen.