Predigt zum Nachlesen

Predigt für den 4. Sonntag nach Ostern, Kantate - von Pfr. i.R. Eckhard Weißenberger

Liebe Gemeinde,

zum heutigen Sonntag „Kantate“, „Singet“ habe ich nur Lieder von Paul Gerhardt herausgesucht, weil sie jedes für sich schon kurze Predigten zum heutigen Sonntag sind. Paul Gerhardt versteht es immer wieder, uns zum Lob Gottes zu ermutigen, auch, wenn er die Probleme, Sorgen und Gefährdungen des Lebens nicht ausblendet - schließlich hatte er den 30- jährigen Krieg miterleben und mit erleiden müssen.

Zu dieser Haltung: Getrost seines Weges zu gehen und dabei die Schwere des Lebens nicht auszublenden - passt der Satz von Jesus, über den ich mit Ihnen heute Morgen nachdenken möchte.

Jesus sagt in der Bergpredigt:

Sorgt euch nicht um den anderen Tag, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage habe. Mt.6,34 

Ich meine, dieser Ratschlag Jesu entspricht den Liedern von Paul Gerhardt, die wir in diesem Gottesdienst, wenn schon nicht mit dem Mund, dann doch zumindest mit dem Herzen und mit unserer Seele mitsingen dürfen.

Jesus meint es gut mit den Menschen, er hat sie beobachtet in ihrem Alltag.  Er ist kein weltfremder Prediger, der vom Leben der Menschen keine Ahnung hatte. Er will nicht einfach einen frommen Satz sagen, um von den Mühen und Sorgen des Alltags abzulenken, wenn er uns zuruft:
Sorgt euch nicht um den anderen Tag, es genügt, dass jeder Tag seine Plage habe! sondern er will uns befreien, dass wir uns nicht mehr Lasten auf die Schulter laden, als wir tragen können und müssen.

Jesus sagt nicht einfach: lebt fröhlich in den Tag hinein, macht euch keine Sorgen. Es sagt: Sorgen ja, aber nur für einen Tag. Nur diesen einen Tag könnt ihr gestalten mit eurem Planen, Sorgen - machen, organisieren. Grenzt eure Sorge auf einen Tag ein. Keine grenzenlose Sorge!  Das ganze Leben könnt ihr nicht überblicken. Heute könnt ihr das Nötige, auch für morgen, tun, aber es geht nicht, dass ihr mehr als einen Tag auf einmal lebt.

In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir ja immer wieder erlebt, wie in der Corona Pandemie wir kaum von einem zum nächsten Tag planen konnten. Ein Medikament gilt als sicher, dann wird verboten es zu impfen, es könnte unsicher sein und wieder ein paar Tage später wird es wieder frei gegeben. Die einen schwören auf einen harten Lockdown, die anderen sagen, so hart darf und braucht er nicht zu sein – sie alle kennen die täglichen nicht enden wollenden Diskussionen.

Gott sei Dank, ist nicht alles in unserem Alltag so gefährdet und unsicher von einem zum anderen Tag wie die Maßnahmen gegen die Corona Pandemie, aber die grundsätzliche Erkenntnis, dass wir immer nur für einen Tag, diesen heutigen Tag, entscheiden und handeln können, diese Erkenntnis und Wirklichkeit gilt nicht nur in Corona Zeiten. Heute können wir Masken tragen, Hygieneregeln beachten, uns sobald als möglich impfen lassen – eben das heute Notwendige tun, ---  wie sich alles entwickeln wird, wissen wir nicht .

Mir tun die Politiker ein bisschen leid, wenn ihnen vorgehalten wird, das und das hätten sie besser machen müssen – aber sie können nur nach den jetzt vorliegenden Daten entscheiden.

Bei der Pandemie ist es noch einzusehen, aber das gilt für unser ganzes Leben, darauf will Jesus uns hinweisen: Sorgt euch nicht um den anderen Tag. Es genügt, dass jeder Tag seine eigene Plage habe.

Aus dem Mittelalter kennen wir Bilder, da hielt der Tod den Menschen eine Sanduhr vor Augen: Seht, das ist euer Leben, Körnchen für Körnchen, Tag für Tag läuft der Sand hindurch. Ihr wisst nicht, wie viele Körner noch oben sind, das weiß nur Gott und dass ist gut so. Ihr wisst, wie viele schon durchgelaufen sind, die Körnchen oben laufen nie alle auf einmal durch, sondern jede Sekunde eins nach dem anderen. So ist auch euer Leben, Sekunde für Sekunde, Minute um Minute läuft euer Leben ab,  – ihr könnt nie eine Sekunde vor der anderen durchleben. Und weil ihr es nicht könnt, braucht ihr es auch nicht zu versuchen. Es geht nicht.  86.400 Sekunden am Tag, 1440Minuten, alle hintereinander.

Diese vielen Sekunden, Minuten, Stunden und Tage liegen vor uns und Jesus rät: Immer nur Sorge für einen Tag, nicht das ganze Leben durchdenken und planen wollen. Jesus sagt uns:

Das Leben besteht auch aus Plage, aber bitte lade dir nicht mehr als die Plage, die Mühe, die Sorge für einen Tag auf. Die Vergangenheit könnt ihr wohl bedenken, ändern könnt ihr sie nicht mehr, die Zukunft – ihr könnt euch viele Gedanken darüber machen, aber wirklich Macht habt ihr nicht über sie – ihr verschwendet viel Zeit, indem ihr Euch viele Gedanken über die Zukunft macht und dabei die Gegenwart aus den Augen verliert, nur der heutige Tag, der gegenwärtigen Augenblick – der gehört euch. Ihn könnt ihr füllen mit Sorge, Freude, Entscheidungen, Taten, aber auch mit ruhiger Gelassenheit und Gottvertrauen - Nur an diesem einen Tag habt ihr die Möglichkeit, den Tag zu füllen oder ihn zu vergeuden, die Zeit zu verschwenden oder sie Minute um Minute ganz bewusst wahrnehmen.  Ihr könnt euch an der Gegenwart freuen und euer Leben dankbar als Geschenk wahrnehmen.

Jetzt, in diesem Augenblick, könnt ihr es, ob ihr es morgen noch können werdet, wisst ihr nicht. Die Anonymen Alkoholiker, eine sehr gute Selbsthilfegruppe für Menschen, die suchtkrank sind und lernen müssen, ohne Alkohol ihr Leben zu gestalten, haben diesen Ratschlag Jesu in ihr Therapieprogramm aufgenommen, in dem es u.a. heißt: Nur diesen einen Tag will ich leben.

Nur diesen einen Tag will ich glücklich sein. Nur diesen einen Tag kann ich ohne Alkohol leben. Ich will nicht versuchen, mein ganzes Leben mir ohne Alkohol vorzustellen, aber diesen einen Tag kann ich ohne leben.

Andere Selbsthilfegruppen haben ein ähnliches Therapieprogramm entwickelt, das jeweils beginnt mit:
Nur diesen einen Tag.

Im Winter, macht es mir immer Freude mit meinem Hund über ein Weg zu gehen, auf dem alles weiß verschneit ist, man sieht noch keine Spuren von Menschen und Tieren, die vor uns dort lang gegangen sind. Natürlich wissen wir, es sind schon unzählige Menschen und Fahrzeuge diesen Weg, diese Straßen entlang gegangen oder gefahren. Aber der Schnee hat alles bedeckt. Jetzt, am frühen Morgen bin ich der erste. Ich hinterlasse mit meinem Hund die ersten Spuren auf diesem Weg an diesem Tag.

So können wir jeden neuen Tag in unserem Leben ansehen: Ich werde diesen einen Tag neu gestalten, Menschen treffen, Dinge tun, telefonieren, am Computer sitzen.

Ich kann mich darauf konzentrieren: Diesen einen Tag will ich leben, nur diesen einen Tag will ich ganz bewusst erleben und gestalten. Mich selbst und andere nicht festlegen, auf das, was war, sondern neu auf andere Menschen zugehen.  Und damit meine Sorgen eingrenzen.  Diesen Tag kann ich ertragen, was meine besonderen Sorgen sind, die gerade mein Leben eingrenzen und belasten. Das ist bei jedem von uns unterschiedlich: Einer muss ertragen lernen, dass ein Mensch ihm seine Freundschaft oder Liebe aufgekündigt hat, ein anderer muss diesen Tag ertragen, dass er verschuldet ist und vielleicht einen Plan erstellen, wie er langsam da wieder rauskommt, wieder einer muss diesen einen Tag mit den schwierigen Mitmenschen als Nachbarn, als Arbeitskollegen, als Mitglied seiner Familie auskommen, ihn oder sie ertragen, weil er oder sie eben zu seiner Familie gehört, ob ich will oder nicht. Natürlich kann ich auch so frei sein und diesen Tag aus meinem Verhaltensmuster ausbrechen, vielleicht kann ich heute sogar ein freundliches Wort an ihn oder sie richten? Wenn wir gestern uns feind waren – ich muss das nicht bis in alle Unendlichkeit zelebrieren.

Ein Mann erzählte mir mal von einem Familienstreit, der Jahrzehnte alt war. Man sprach nicht miteinander, jeder tat so, als gäbe es den anderen gar nicht, obwohl sie im gleichen Ort wohnten, aber wie alles angefangen hatte, wusste der Mann gar nicht mehr zu erzählen. Das war einfach so – mit denen sprach man nicht. Mit denen wollte man nichts zu tun haben - und so lebten sie nebeneinander her - und hätten jeden Tag einen Neuanfang wagen können. Jesus nagelt uns nicht fest auf unser Verhalten von gestern. Wir können diesen Tag neu beginnen: Mit meinem Nächsten, mit mir und mit Gott.

Nie aber werden wir zwei Tage auf einmal gehen können, – immer nur einen Tag hintereinander. Und das ist gut so. Wenn wir doch einmal bei vielen Aufgaben und Problemen zwei auf einmal nehmen wollen und dabei natürlich nervös, überfordert, hektisch werden, könnten wir uns an Jesu Wort erinnern:
Sorget euch nicht um den anderen Tag. Es genügt, dass jeder Tag seine eigene Plage – und Freude – habe.

Abschließend die Geschichte von Beppo, dem Straßenkehrer:

"Siehst du, Momo, es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.  Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen." 

Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: "Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig."   (Nach Michael Ende, Momo)

 Ich wünsche Ihnen und mir gute Erfahrungen mit dem Ratschlag Jesu: „Sorget euch nicht um den anderen Tag, es genügt, dass jeder Tag seine eigene Plage habe.“

 AMEN