Predigt zum Nachlesen

Predigt am 09. Sonntag nach Trinitatis, 01. August 2021 in Hugsweier und Langenwinkel von Eckhard Weißenberger, Pfarrer i.R

Predigttext: Psalm 139 in Auswahl

Gnade sei mit euch und Frieden von dem der da ist und der da war und der da kommt. AMEN

 

Liebe Gemeinde,

„Wer die Psalmen liest, sieht den Heiligen ins Herz“ – hat Luther einmal über die Lektüre der Psalmen gesagt, das Büchlein in der Mitte der Bibel, das 150 Gebete Israels vereinigt.

Wir haben  einige Sätze aus dem 139. Psalm gehört, den ich heute morgen mit Ihnen bedenken möchte. Da spricht einer, den völliges Vertrauen mit seinem Schöpfer verbindet. Er spricht in der Sprache der Freundschaft, der Liebe. Er hält keine theologische Abhandlung zur Frage: Wie ist Gott? Sondern, ihn verbindet tiefstes Vertrauen zu Gott, seinem Schöpfer, und so kann er sagen:

HERR, du erforschst mich und kennst mich.

2Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von Ferne.

3Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.

4Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, dass du, HERR, nicht schon wüsstest.

Und dann fasst er zusammen: 5Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

Liebe Gemeinde,

Der Beter beschreibt hier die absolute Nähe Gottes in seinem Leben:  

Wo ich sitze, stehe, gehe, liege – du bist da.  Was ich rede – du, Gott, hörst es von allen Seiten bin ich von Dir umgeben.

Nun könnte das den Beter erschrecken, er könnte Angst vor diesem allwissenden und all-sehenden Gott haben, aber der Beter freut sich, dass er umgeben ist von Gott,  dass er sein kleines Leben in der Hand Gottes geborgen weiß.

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

 Wir spüren, wie der Beter sich geborgen weiß unter der Hand Gottes, so wie wir als Kinder es beruhigend fanden, als der Vater oder die Mutter die Hand auf unseren Kopf legte, uns streichelte und uns vermittelte:

“Ich bin da, du brauchst keine Angst zu haben….“

Leider haben manche Eltern diese Allgegenwart Gottes dazu benutzt, um Kindern Angst zu machen: Drohend sagten sie ihnen: Der liebe Gott sieht alles – und machten Gott damit zu einem verlängerten Arm der Eltern.

Es gibt ein Buch eines Psychoanalytikers in Freiburg, der seine Kindheit als ein Gefängnis beschreibt, aus dem er nicht entrinnen konnte, weil der liebe Gott ja überall war und die Eltern mit ihm drohten. Es heißt „Gottesvergiftung“.  Aber das ist Missbrauch des Namen Gottes.

Der Psalmbeter lädt uns ein, dass wir, wie er, Gott gegenüber voll Vertrauen sprechen: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.  Aber nicht nur sein Leben, sondern die ganze Welt, der Kosmos, die Zeit – die ganze Wirklichkeit des Lebens weiß der Beter umgeben von Gott. Der Beter beschreibt in wunderschönen Worten, dass Alles in der Hand Gottes ist: Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer . So würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

Der Beter hat erfahren, es gibt keinen Ort, an dem er Gott-los ist. Er fasst das in die Worte: Spräche ich Finsternis möge mich decken und Nacht, statt Licht, um mich sein, so wäre Finsternis nicht finster bei dir und die Nacht leuchtete wie der Tag. 

Diese beiden Sätze können uns vielleicht in schweren Momenten trösten. Ich denke etwa an Menschen, die von Depressionen geplagt werden. Dann erscheint ihnen die ganze Welt verdunkelt und sie sehen auch in sich nichts als Dunkelheit und spüren Versteinerung - aber ihre Lebenssicht ist durch die Krankheit verdunkelt. Der Beter hält sich vor Augen: Wenn ich auch in mir nichts als Sinnlosigkeit und Dunkelheit wahrnehme, so ist doch mein Leben in der Sicht Gottes niemals sinnlos, sondern auch ich bin zu einem Leben voller Sinn und mit Freude berufen – auch, wenn ich es selbst  z. Zt. nicht glauben kann.

Spräche ich “Finsternis möge mich decken und Nacht ,statt Licht, um mich sein -  so wäre doch Finsternis nicht finster bei Dir und die Nacht leuchtete wie der Tag. 

Aber auch, wenn unsere Sicht nicht durch die Depression verdunkelt ist, so können wir, wenn wir unser Leben ehrlich betrachten, manches Unvollkommenes, Misslungenes, Verletzendes und Verletztes darin entdecken. Dann kann es sein, dass wir an uns selbst zweifeln und verzweifeln, weil wir nicht daran glauben können, dass auch unser Leben ein von Gott umgebenes und behütetes Leben ist und war. Wir denken daran, wie andere uns verletzt und wir andere verletzt haben und dann kann es sein, dass wir Stunden erleben, an dem wir an dem Sinn und Gelingen unseres Lebens zweifeln. Wir denken vielleicht, wie anders unser Leben verlaufen wäre, wenn wir nicht diesen Vater oder diese Mutter gehabt hätten, wenn wir einen anderen Beruf ergriffen hätten oder einen anderen Partner gewählt hätten...

Ich denke an einen Jugendlichen der mir bitter sagte: „Also, wenn mein Vater stirbt, das ist für mich nicht gerade ein Trauertag…“ Oder andere, die klagen: „Oh, hätte ich doch nicht diesen Chef, oder diesen Kollegen, der macht mir das Leben zur Hölle…“

Unendlich sind die Möglichkeiten, wenn wir darüber nachdenken, dass unser Leben auch anders hätte verlaufen können und es ist eine Gefahr, dass wir diesen Gedanken zu sehr in uns Raum geben, dass wir bitter werden. In solchen Momenten kann uns der Beter des 139. Psalms helfen: Spräche ICH Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, So wäre Finsternis nicht finster bei DIR und die Nacht leuchtete wie der Tag. 

Es ist eine der ganz großen Lebensaufgaben, die jeder von uns bewältigen muss, dass wir lernen, unser Leben anzunehmen, so wie es ist und geworden ist, mit dem was gut und dem was weniger gut war. Mit dem, was wir gut können und dem, was andere besser können. Und hinter dem allem: Mich selber anzunehmen, mit meinen Begrenzungen und meinen Begabungen, mit Erfolgen und Niederlagen. Der Psalm 139 kann uns dabei helfen, weil hier einer redet, der seinen Frieden mit Gott und sich  selbst gemacht hat. Er sieht, dass es da auch Dunkelheit und Finsternis in seinem Leben gibt, aber er weiß und vertraut darauf, dass es vor Gott nicht so bewertet sein muss, dass der, der ihm einst das Leben geschenkt hat, dass der auch mit den Dunkelheiten seines Lebens fertig werden kann, hat er doch selbst die Dunkelheit des Todes und der Sünde auf sich genommen. Wie es so tröstlich im AT heißt: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt.“(Jes 53)

Zu diesem verzeihenden und liebenden Gott kann er sagen: Finsternis ist nicht finster bei dir und die Nacht leuchtete wie der Tag.  Der Psalmbeter lädt uns ein, ihm zu glauben, und auch für unser Leben darauf zu vertrauen, dass unsere Selbstverurteilung und Selbstverneinung nicht das Letzte ist, was über unser Leben gesagt werden kann.

Wenn wir, wie der Psalmist, vorsichtig  annehmen, dass Gott auch unsere finsteren Seiten mittragen und ertragen kann,  dann können und dürfen wir  auch nachsprechen, was der Beter des Psalms uns vorgesprochen hat: Ich danke dir  dafür, dass ich wunderbar gemacht bin – wunderbar sind deine Werke, dass erkennt meine Seele wohl. Ich bin Teil deiner wunderbaren Schöpfung  und darum will ich mein Leben nicht abwerten,  sondern als ein von Gott gesegnetes Leben annehmen, auch mit dem, was ich mir anders gewünscht hätte und mit dem, was ich besser nicht getan hätte. Dass wir uns selber verurteilen auf der einen Seite -  dass wir die Annahme unseres Lebens  aus dem Händen Gottes entgegen nehmen und daran glauben, die andere.

Es sind Grunderfahrungen von glaubenden Menschen, sicher auch  hier unter uns in Langenwinkel und Hugsweier oder wo wir sonst leben.

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke, das er kennt meine Seele wohl.

Es ist der Hochmut des Glaubens, dass wir an einen persönlichen Gott glauben, der den Kosmos umspannt, ebenso wie mein kleines Leben.  Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. Von Gott zu reden heißt nie, alles von ihm zu wissen. Wir können unser Nichtbegreifen bekennen und doch staunend und dankbar nachsprechen: Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, dass erkennt meine Seele wohl.

Dazu lädt der Psalm uns heute ein.  Ich wünsche uns die heitere Gelassenheit in der kommenden Woche, immer wieder diesen Vers zu bedenken, nachzusprechen und nachzudenken voller Dankbarkeit zu sagen:

JA, auch Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. 

Wunderbar sind deine Werke, dass erkennt meine Seele wohl.  AMEN