Predigt zum Nachlesen

Predigt am 07. Sonntag nach Trinitatis, 18. Juli 2021 in Hugsweier und Langenwinkel von Pfarrer Axel Malter

Predigttext: Römer 12,17-21
17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«  (Sprüche 25,21-22). 21 Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Predigt:
Liebe Gemeinde, Gut und Böse sind auf den ersten Blick die markantesten Wörter in diesem Bibelabschnitt. Das „Böse“ kommt viermal vor und das „Gute“ zweimal. Viele Leute denken ja: Die Christen, oder eine bestimmte Gruppe unter ihnen, das sind die Guten! Und manche finden das attraktiv. Da wollen sie gern dazu gehören, zu den Guten. Das fühlt sich nämlich gut an, wenn man bei den Guten ist. Denn dann sind die Bösen die andern. Dann ist man selbst irgendwie was Besseres. Andre Leute finden das eher abschreckend: die Idee, dass die Christen die Guten sind. Da wollen sie lieber nicht dazu gehören. Das klingt anstrengend und unlustig. Viel zu
brav und nicht gerade nach Abenteuer. Oder sie haben das Gefühl: so gut, dass ich zu den Besseren gehöre, werd‘ ich sowieso niemals sein. Aber in beiden Fällen ist es ein Missverständnis, wenn man Christsein so einfach mit „Gutsein“ gleichsetzt.
Man könnte den Apostel Paulus hier falsch verstehen. So als ob er hier die Christen als die Guten beschreibt. Das kann passieren, wenn man die Bibelstelle aus dem Zusammenhang herausnimmt. Wenn man nur die fünf Verse des Predigttextes liest. Deshalb möchte ich kurz mit Euch in den größeren Zusammenhang schauen, damit wir diese Zeilen von Paulus nicht falsch verstehen. Der Apostel schreibt das am Schluss von seinem langen Brief an die Gemeinde in Rom. Nachdem er vorher seitenweise, viele Kapitel lang, sein Hauptthema entfaltet hat: Alle Menschen sind Sünder. Keiner kann sich rühmen, einfach nur zu den Guten zu gehören. In Gottes Augen fehlt uns ja allen ein ganzes Stück zur Perfektion. Aber Gott sei Dank liebt Gott uns nicht deshalb, weil wir so gut sind. Er liebt uns, einfach weil wir sind! So wie ein Vater seine Kinder liebt. - Obwohl es auch Väter oder Mütter auf der Erde gibt, die es an Liebe mangeln lassen. Aber das ist ein anderes Thema. -
Normalerweise, wenn alles gut geht, werden Kinder von ihren Eltern oder Großeltern einfach geliebt, weil sie da sind. Nicht dafür, dass sie brav sind oder nützlich oder tüchtig. Und so, sagt Paulus, so liebt Gott uns Menschen. Nicht weil wir es durch Gutsein verdienen, durch besondere moralische Leistungen, durch ethische Perfektion, durch mustergültiges Verhalten. Nein, ganz im Gegenteil: Er liebt uns, auch wenn wir ihm oft genug
den letzten Nerv rauben. Und das nennt Paulus „Gnade“ - oder mit einem anderen Wort: „Barmherzigkeit“. Unverdient, geschenkt ist diese Liebe. Sünder, die wir sind - Gott liebt uns trotzdem als seine Kinder. Und „Glauben“ heißt: Genau das gelten lassen: Wir sind alte Sünder - und trotzdem geliebte Kinder. Sünder - Kinder, auf Deutsch reimt sich das sogar. Kann man sich also gut merken. Sünder – und doch Kinder.
Kinder, auch das betont Paulus immer wieder, sind auch Erben. Ihnen gehört alles, was ihr Vater besitzt. Kinder Gottes erben den Himmel und die Ewigkeit von ihrem ewigen, himmlischen Vater. - Christsein heißt für Paulus: Ich sage „Ja“ zu alledem. Ich unterschreibe. Ich nehme das Erbe meines himmlischen Vaters an für mich persönlich, und ich freue mich drüber. Ich rühme nicht mich selbst und meine guten Taten, sondern ich
rühme Gott, der so gut zu mir ist. - Das ist christlicher Glaube.
Das alles hat Paulus im Römerbrief in 11 Kapiteln entfaltet, bevor er dann im 12. Kapitel weiterdenkt. Jetzt kommt gewissermaßen die Fortsetzung zu den ersten 11 Kapiteln: Wenn wir begriffen haben, dass wir alte Sünder und gleichzeitig geliebte Kinder sind, wie lebt man denn dann? Wie verhält man sich ganz konkret? Und an der Stelle finden sich dann auch die Zeilen, die Grundlage der heutigen Predigt sind: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Hier geht es dann schon um Gut und Böse. Aber das sind Leitsätze, keine Zustandsbeschreibungen. Hier werden die Christen eben nicht automatisch mit den Guten gleichgesetzt. Und es wird ihnen auch nicht zugeschrieben, dass sie immer alles richtig machen. Was Paulus hier aufschreibt, sind auch keine Gesetze. Es sind eher Wegweiser und Orientierungspunkte für unser Verhalten als Christen.

„Vergeltet nicht Böses mit Bösem.“ Das ist doch ein bemerkenswerter Leitsatz. In der Regel schaukeln sich Konflikte ja genau auf diese Weise hoch, dass man eben versucht Böses genauso zu beantworten. Mindestens genauso. Das kann man schon im Sandkasten beobachten oder auf dem Schulhof: Die hat mir das Förmchen weggenommen, also nehm ich ihr jetzt das Schäufelchen weg. Der hat mir ein Schimpfwort gesagt, also sag ich ihm jetzt auch eins. Die hat mich angekeift, also keife ich zurück.  Die hat sich vorgedrängelt, also drängel ich jetzt auch. Der hat schlecht über mich geredet bei andern, also lästere ich jetzt auch ab über ihn. Die hat mir mein Projekt kaputt gemacht, also mache ich jetzt auch ihres kaputt. Der hat mir wichtige Informationen vorenthalten, also kriegt er von mir beim nächsten Mal auch keine mehr.  So geht „Böses mit Bösem vergelten“. – Und fast erscheint uns das wie ein Naturgesetz. - Der Apostel Paulus sagt aber: So muss es gar nicht sein. Vergeltet nicht Böses mit Bösem.

Das heißt allerdings nicht, dass Ihr alles schlucken müsst und so tun als ob nix wär. Lasst Euch was Kreativeres einfallen! Oft geht es auch anders, origineller, sinnvoller, klüger - statt einfach nur mit mehr vom Gleichen. Der Kindergartenspruch: „Was man sagt, wie man meinen könnte. Oder auch der Satz „Der Klügere gibt nach“ im richtigen Moment zitiert, kann eine Reaktion sein, die die Eskalation stoppt und gleichzeitig die eigene Souveränität unterstreicht. Ein schönes Beispiel hab ich mal als junger Pfarrer in einer kirchlichen Synodalversammlung beobachtet. Es ist mir im Gedächtnis geblieben, denn die entwaffnende Wirkung dieser Reaktion war phänomenal. Es war einfach nur ein Satz, ganz ruhig und freundlich gesprochen, als Reaktion auf eine heftige Verbalattacke:
„Ach, Herr Meier, des war jetzt aber net nett“ 😊. Das hat dafür gesorgt, dass eine Menge an geballter negativer Energie einfach verpuffte. In emotional aggressiven Meetings hilft es manchmal, einen großen Schluck Kaffee zu trinken oder auf die Toilette zu gehen, um innerlich etwas Abstand zu gewinnen. Man kann in hitzigen Fällen auch die Gesprächsebene wechseln, indem man vorschlägt: „Anstatt hier weiter zu streiten, sollten wir vielleicht lieber nach einer Lösung suchen, mit der alle leben können.“ Böses nicht mit Bösem zu vergelten, das erfordert: Kreativität, konstruktives Querdenken, raus aus dem Schema „Wie-du-mir-so-ich-dir".

Vergeltet nicht Böses mit Bösem, das heißt nicht: Lasst euch einfach alles gefallen, zieht den Kopf ein, unterwerft euch. Sinn und Ziel ist es ja nicht, Böses ungehindert weitergehen zu lassen. Sondern Sinn und Ziel ist: Böses mit Gutem zu überwinden. Sich nicht anstecken zu lassen. Nicht in die Vergeltungsspirale einzusteigen. Eben nicht selber böse zu werden und mit gleicher Münze heimzuzahlen. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“, schreibt Paulus als Ziel auf seinen Wegweiser.

Manchmal gelingt das, indem man böses Verhalten direkt anspricht und zum Thema macht, es infrage stellt. Manchmal kann man böses Verhalten stoppen mit Hilfe von außen. Ein ander Mal kann man es ins Leere laufen lassen. Böses mit Gutem überwinden, das ist das Ziel. Paulus schreibt auch ein Beispiel dazu: Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen, dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, wirst du glühende
Kohlen auf sein Haupt häufen. Gemeint ist mit dieser Redensart, dass einer sich schämt für sein eigenes Verhalten und davon einen glühend roten Kopf bekommt. Den Feind durch gute Taten so beschämen, dass er dadurch gestoppt wird in seiner Aggression. Auch das funktioniert manchmal. „Töten durch umarmen“ nennt sich diese Taktik in Management-Ratgebern. Im Alten Testament gibt es dafür ein schönes Beispiel im Buch der Könige. Es spielt in einer Zeit als die benachbarten Aramäer sehr mächtig waren und immer wieder kleinere und größere Raubzüge ins Land Israel unternahmen. Der Prophet Elischa war damals in Gottes Auftrag unterwegs. Da geschah es einmal, dass eine größere Aramäertruppe in die Hände des Königs von Israel fiel, nachdem der Prophet Elischa durch sein Gebet dafür gesorgt hatte, dass die Aramäer für einen Moment mit Blindheit geschlagen waren. „Und als der König von Israel die gefangenen Feinde sah, sprach er zu Elischa: „Väterchen, soll ich sie töten?“ Elischa aber sprach: „Du sollst sie nicht töten. Erschlägst du denn die, die du gefangen hast? Setze ihnen Brot und Wasser vor, dass sie essen und trinken – und dann lass sie nachhause ziehen.“ Da wurde ein großes Mahl bereitet und als sie gegessen und getrunken hatten, ließ er sie gehen, dass sie zu ihrem Herrn, dem König von Aram, zogen.“ Und das Ergebnis von dieser überraschenden Aktion wird dann auch noch kurz berichtet: „Seither kamen streifende Rotten der Aramäer nicht mehr ins Land Israel.“ (2 Kön 6, 21-23) Das ist ein gutes
Beispiel für „glühende Kohlen aufs Haupt häufen“. Feinde ausschalten durch Freundlichkeit. Töten durch umarmen. Manchmal funktioniert das. Aber nicht immer.

Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ schreibt Paulus. Dieser Satz ist eine Aufforderung, aber er ist zugleich ist er entlastend und sehr realistisch. Es gibt Situationen, da ist Frieden beim besten Willen nicht möglich. Da will der andere einfach keinen Frieden. Da gilt dann das Sprichwort: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Frieden halten, das
geht nur dann, wenn zwei Seiten mitmachen. Manchmal schaffen wir es mit kreativem oder klugem Verhalten, es dem anderen leicht zu machen, in unser Friedensangebot einzusteigen. Aber eben nicht immer. Wir haben es nicht allein in der Hand. Darum formuliert Paulus seine Aufforderung so vorsichtig und realistisch „Ist’s möglich, soviel an euch liegt, habt mit allen Menschen Frieden. "

Ihr Lieben, was Paulus hier schreibt, das gibt uns genug Impulse für die Arbeit an uns selbst. Das sind Leitsätze, an denen wir uns orientieren können. Kreativität ist gefragt im Umgang mit dem, was wir von andern als böse empfinden. Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Wirklich fertig werden wir mit dieser Aufgabe wohl nie. Darum ist es entlastend zu wissen, dass Gott uns liebt, auch wenn
wir mit dieser Aufgabe immer wieder scheitern. Amen.