Predigt zum Nachlesen

Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis, 08. August 2021 in Hugsweier und Langenwinkel von Eckhard Weißenberger, Pfarrer i.R

Predigttext: Psalm 42, 1-6

Wie ein Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. 

Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.

Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?

Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,

weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?

Daran will ich denken und ausschütten mein Herz bei mir selbst:

Wie ich einherzog in großer Schar,

mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes

 mit Frohlocken und Danken in der Schar derer, die da feiern.

 Was betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig in mir?

Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

 

Liebe Gemeinde,

Am vergangenem Sonntag haben wir über den 139. Psalm nachgedacht, in dem es u.a. von Gott heißt: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.  

Ein schöner Satz, in dem der Beter beschreibt, dass er sich umgeben weiß von Gott, dass es sich bei ihm geborgen weiß. Aber die Bibel ergänzt sich. Vielfältige Zeugnisse von Menschen in ganz verschiedenen Lebenssituationen sind in ihr versammelt.  In ganz getroster Gewissheit, aber auch in Zweifel und Anfechtung. Der heutige Predigttext entspringt einer andere Lebenssituation, weil der Beter darunter leidet, dass er Gott nicht sieht, fühlt, seine Anwesenheit in seinem Leben schmerzlich vermisst.

Der  Predigttext steht wieder in den Psalmen.

Tiefste Gottesverbundenheit finden wir hier und tiefste Anfechtung und darum sprechen sie uns bis heute an. Psalm 42,1-6. Schon der erste Satz des Psalms stellt  uns die ganze Ernsthaftigkeit der Frage nach Gott vor unser Herz: Wie ein Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.  

Hier plaudert nicht einer in einer gemütlichen Teerunde darüber, ob es nun Gott gibt oder nicht? -  Etwa so,  wie man sich lange darüber ereifern kann, ob es außerirdisches Leben oder UFOs gibt oder nicht?  Darüber kann man reden, aber das Wesentliche ist: Es verändert unseren Alltag nicht. Es ist nicht wesentlich für unser Leben,  es berührt nicht unsere Existenz. Der Mensch, der sich hier zu Wort meldet, ist ganz und gar ergriffen von der Frage Wo bist du, Gott? Sie kennen sicher das romantische, gefühlvolle Bild eines Hirschen, der an einem munter dahinfließenden Bach sein stolzes Haupt erhebt – Ein Bild für ein altdeutsches Wohnzimmer und seiner Gemütlichkeit, aber hier redet einer anders. Ein Hirsch, der kein Wasser findet, schreit hier mit seiner ganzen Existenz. 

Wir haben vielleicht die Bilder aus dem Fernsehen vor Augen, wenn Tiertransporte gezeigt werden, bei denen Tiere hunderte von km durch Europa gekarrt werden und leider viel zu oft wenig oder gar kein Wasser bekommen, weil sie ja „eh zum Schlachten“ gefahren werden. Diese leidende Existenz ist hier gemeint, wenn der Beter uns wissen lässt: So, wie ein Hirsch nach Wasser schreit, mit allem, was sein Leben ausmacht, Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Der Beter möchte Gott in seinem Leben spüren, lebendig spüren, nicht als ein Allerweltswort, als Worthülse für Verlegenheiten, wenn wir nicht weiter wissen, und dann die Vokabel als Füllwort benutzen. Der Beter schreit danach, dass er Gott in seinem Leben erfährt.  In seinem konkreten Leben mit seinen Erfahrungen von Siegen und Scheitern, von ermüdender Arbeit und glücklichen Momenten, in diesem Leben will er spüren, dass  Gott da ist, mit ihm ist, sein Gegenüber, der Grund auf dem er  stehen kann, weil so viel um ihn ist, das nicht trägt und nicht feststeht. Und so ruft er halb zu sich selbst, halb zu Gott aus: Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? Im Augenblick geht es ihm wie dem Hirsch, der bei versiegten Quellen steht und nur nach Wasser schreien kann.  Er erfährt Gottes Wirklichkeit nicht, -  aber er zieht sich nicht zurück, sondern schreit diese Erfahrung der Abwesenheit Gottes heraus -  Gott entgegen.

Sein Leiden in der Gegenwart wird verstärkt, indem er von außen  in Frage gestellt wird (vielleicht aber auch sich selbst in Frage stellt):
Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?

 Die Erfahrung der Abwesenheit Gottes und das Hören  von spöttischen Bemerkungen kann sehr weh tun. Damals wie heute. (Einer meiner Theologieprofessoren erzählte uns, dass er im 3. Reich über Ostern im Gefängnis saß und einer der Naziwärter ihn spöttisch fragte: „Wo ist denn euer auferstandener Herr jetzt?“)  Aber die Erfahrung ist nicht auf extreme Situationen beschränkt. Der Alltag heute kann genügen, die Frage zu stellen:  Wo ist nun dein Gott?  Wir können sie uns selber stellen und unausgesprochen hören wir sie von Menschen, die die Erfahrung von Leid,  Unglück und Ungerechtigkeit nicht mit dem Gedanken an Gott verbinden können. Aber auch von Menschen, die in ihrem relativen Wohlstand ganz gut ohne Gott zurechtkommen und aus der Kirche austreten, weil sie die Kirchensteuer eigentlich sparen könnten. Allein, dass dieser Schrei in der Bibel steht, ist gut und hilfreich – wir sind dann mit unseren Fragen und unserer Erfahrung der Gottverlassenheit nicht mehr allein.

Jesus selbst hatte ja am Kreuz geschrieen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Ps22) Diese Sehnsucht Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?  ist vielen von uns, denke ich, nicht fremd. Die Konfirmanden waren  mir in ihren Glaubensbekenntnissen immer wie ein Spiegel für die Fragen, die auch wir Erwachsene mit uns herumtragen, die wir aber nicht immer aussprechen möchten: „Gott, warum zeigst du dich nicht, damit man richtig an dich glauben kann?“  hat ein Konfirmand einmal in seinem Glaubensbekenntnis   formuliert und so oder ähnlich viele andere mit ihm.

Zwischen der Frage des Konfirmanden und der der des Psalmbeters  liegen weit über 2000 Jahre Lebenserfahrungen von Menschen, die sich immer wieder danach sehnten, dass sie nicht einem unsichtbaren Gott gegenüber stehen, sondern einem sichtbaren. Der Beter besinnt sich, erinnert sich, als er mit vielen anderen die Anwesenheit Gottes im Tempel gefeiert hat. Aus der Erinnerung kommt die Hoffnung, dass er wieder Gott erfahren wird, so wie er ihn in der Vergangenheit erfahren hat. Dazu passt das Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis: Ich glaube, das Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft gibt, wie wir brauchen, aber er gibt sie uns nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

Von dieser Zuversicht in der Zeit, als er Gott nicht sieht und erfährt, ist der Psalm getragen, ist der Beter des Psalms getragen:

Was betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott und ich werde ihm noch danken, das er meines angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Der Beter gibt weder sich selbst noch uns eine logische Erklärung für seine Hoffnung. Er weiß nur: In der Vergangenheit habe ich Gott als lebendigen Gott erfahren und mit anderen ihm gedankt im Tempel. Im Augenblick kann er das nicht – aber andere sind da, beten auch für ihn, bekennen den lebendigen Gott. Der Beter vertraut darauf, er wird auch einmal wieder dazu gehören. Mit seinen Worten lädt er auch uns ein,

- wenn wir uns selbst Gott fern fühlen,

- wenn wir keine innere Verbindung zu ihm bekommen,

- wenn uns unser Glaube und unser Gebet leer erscheinen

- wenn andere nur spöttisch über unseren Glauben oder über Gott reden, dann können und dürfen wir uns an diesen ermutigenden, tröstlichen Vers aus dem 42. Psalm erinnern und daran festhalten.

Er soll uns begleiten  in unseren Alltag der kommenden Woche:

Was betrübst du dich meine Seele? Und bist so unruhig in mir? Harre auf  Gott und ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist. AMEN