Predigt zum Nachlesen

Predigt Erntedankfest, 26. September 2021 in Hugsweier  von Pfarrer Axel Malter

Liebe Gemeinde, eine persönliche Frage: Neigen Sie zur Vergesslichkeit?

Ich will Ihnen gestehen: Ich bin ziemlich vergesslich. Erschreckend vergesslich. – Manchmal kommt es vor, dass ich im Keller stehe und dort dann nicht mehr weiß, was ich eigentlich da unten wollte. Es kommt gelegentlich vor, dass ich vergesse, Grüße auszurichten, die mir aufgetragen werden. Manchmal fahre ich zum Einkaufen und vergesse den Einkaufszettel zu Hause oder die Maske. Es ist sogar schon vorgekommen, dass ich einen Termin vergessen habe, obwohl er dick und fett im Terminkalender stand. - Es ist zum Verzweifeln! - Ich hab schon vergessen das Haus abzuschließen. Es ist schon vorgekommen, dass ich den Kofferraum vom Auto eine ganze Nacht habe offen stehen lassen. Und einmal hab ich beim Rückwärtsausparken im Hof vergessen, dass unser Anhänger im Weg steht.

Ich könnte noch eine ganze Weile weitererzählen. – Aber ich sehe schon: Manche von Euch nicken verständnisvoll, andere schmunzeln. Ihr scheint also auch schon das eine oder andere vergessen zu haben.

Unser heutiger Predigttext aus Lukas 17 spricht uns auf eine Vergesslichkeit an, die Euch vielleicht auch bekannt vorkommt.

 

Predigt:

Lukasevangelium, Kapitel 17,11-19.

11 Es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog. 12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne

13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! 14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.

15 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme 16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.

17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? 18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?

19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen. Herr, gib uns ein Herz für Dein Wort und gib uns Dein Wort für unser Herz. Amen.

 Zehn Aussätzige sind gesund geworden. Neun haben vergessen, sich bei Jesus zu bedanken. 10% Dankbarkeit. – Ich vermute, dass Jesus unter uns auch keine bessere Quote erzielen würde.

Wie gut, Ihr Lieben, dass es das Erntedankfest gibt: den einen Tag im Jahr, an dem wir uns daran erinnern lassen, wem wir alles verdanken, was wir sind und haben. Der Tag, an dem wir uns daran erinnern lassen, Gott von Herzen „Danke“ zu sagen.

Das Erntedankfest ist dazu da, zurückzuschauen aufs vergangene Jahr und zu entdecken, wie viel Grund wir haben, froh und dankbar zu sein: Wir hatten, was wir zum Leben brauchten: Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf, Menschen, die uns lieben. Menschen, die uns Verständnis entgegenbrachten, Menschen, die uns verziehen haben. Vielleicht erinnern wir uns an die eine oder andere Krankheit, die uns Sorgen gemacht hat, von der wir uns aber wieder erholt haben. Vielleicht kämpft jemand mit einer unheilbaren Krankheit … und konnte sie mit Hilfe von Medikamenten und Therapien für ein weiteres Jahr erfolgreich im Zaum halten. – Vielleicht haben sich verworrene Lebenslagen ein Stück weit geklärt. Oder ein langer Streit konnte beigelegt werden.

Schauen Sie zurück und entdecken Sie die vielen Gründe, die Sie persönlich haben, Gott heute „Danke“ zu sagen.

Im grauen oder stressigen Alltag sehen wir ja oft nur das andere: den Grund zur Sorge, das Zipperlein, das uns plagt, die Krankheit, die uns schwächt und Sorgen macht, der Knatsch mit den Eltern, mit den Kindern oder mit dem Ehepartner, die Konflikte am Arbeitsplatz. -  Hass und Gewalt, Armut und Elend an so vielen Orten auf dieser Welt. Schicksalsschläge im eigenen Leben. – Und dann noch die Sorge um die Zukunft unseres Planeten. - Wie sollen wir da zu Dankbarkeit und Freude finden?

Nun, wie hat es denn unser geheilter Samariter gemacht? – Lukas berichtet uns: Als er sah, dass er gesund geworden war, da kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme … Er sah also, dass er gesund geworden war. – Er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Positive, das ihm widerfahren ist. – Und: er kehrte um. Die Umkehr geht dem Lob und dem Dank voraus. – Der Samariter ist bereit, umzukehren an den Ort, wo ihm Heil widerfahren ist: zu Jesus, der ihn heil gemacht hat.  Und er ist bereit, das Gute in seinem Leben zu sehen. – So findet er zu Freude und Dankbarkeit.

Dankbarkeit braucht offenbar zunächst Umkehr. Indirekt stellt das auch Jesus fest, als er den dankbaren Samariter fragt: Ist sonst keiner umgekehrt, um Gott die Ehre zu geben?

Umkehr kann wie in dieser Geschichte ganz praktisch vor sich gehen: nämlich so, dass wir in Gedanken oder auch ganz real noch einmal dahin zurückkehren, wo wir Gutes und Schönes erfahren haben. – Meine Frau und ich, wir kehren immer mal wieder dahin zurück, wo wir uns kennen und lieben gelernt haben. Dann erinnern wir uns an unsere Anfänge und werden von neuem dankbar, dass Gott uns zueinander geführt hat, dass er uns Liebe zueinander ins Herz gelegt hat.

Urlaubsfotos anschauen und sich noch einmal an erholsame, entspannende und glückliche Tage oder Wochen erinnern, auch so kann die Umkehr zur Dankbarkeit aussehen.

Umkehr zur Dankbarkeit kann ganz praktisch heißen: noch einmal dahin zurückkehren, wo wir Gutes und Schönes erlebt haben.

Das Volk Israel ist in seinen Psalmen und Gebeten immer wieder zurückgekehrt ans Rote Meer, um sich daran zu erinnern, wie Gott es aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. - „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“

Kehrt also in Gedanken oder ganz real noch einmal zurück an die Orte, wo Ihr Gottes Bewahrung erlebt, und zu den Menschen, mit denen Ihr Schönes geteilt habt. Das hilft zum Dankbarwerden.

Umkehr hat immer auch etwas mit Abkehr zu tun und mit der Hinwendung zu etwas anderem: Umkehr zur Dankbarkeit ist immer auch die Abkehr vom Jammern, vom Nörgeln und von einer Haltung, die schon gar nichts Gutes mehr erwartet.

Es scheint mir ein übler Bann zu ein, der uns gefangen hält im Jammern und im Lamentieren und im Zweilfeln. – Und damit dann eben auch in der Undankbarkeit.

Umkehr zur Dankbarkeit hat etwas zu tun damit, dass wir uns lossagen von diesem Bann, uns losreißen aus dieser Gefangenschaft. – „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ (Gal 5,1), sagt Paulus.  – „Und das nicht, damit wir uns von neuem gefangen nehmen lassen.“

Wenn ich sage: Umkehr zur Dankbarkeit ist Abkehr vom Negativen, dann meine ich damit nicht: Wir verschließen einfach die Augen und tun so, als ob es alles Schlimme im Leben und auf der Welt gar nicht gibt. Als ob alles bestens ist. Ich meine mit der Abkehr vom Negativen aber: Befreiung aus der Gefangenschaft im Negativen, Befreiung aus resignativer Stimmung und Verzweiflung. Und stattdessen Hinwendung zu Gottes Güte. Ein Wahrnehmen von seinen Wohltaten. So wie es der Psalmbeter von Psalm 121 tut: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?, fragt er verzweifelt. Und dann erinnert er sich daran: „Meine Hilfe kommt von dem HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat!“ 

Unser dankbarer Samariter kehrte um, pries Gott mit lauter Stimme und dankte Jesus. – Er ist nicht nur leiblich gesund geworden. Auch seine Gedanken sind erlöst aus dem ewigen Kreisen ums Negative. Kehren doch auch wir um zu Jesus und lassen wir unsere Gedanken erlösen aus unserem Sorgen. – Lassen wir uns daran erinner, dass es im letzten allein Gott ist, der unsere Gegenwart und unsere Zukunft in Händen hält.

Am Freitag hab ich auf Youtube zufällig einen Film gesehen. Da besucht Robert Habeck einen jungen Mann und eine junge Frau, die sich im Hungerstreik für einen radikalen Klimaschutz befinden. Der junge Mann ist schon in gesundheitlich bedenklichem Zustand. – Robert Habeck versucht vergeblich, die beiden davon zu überzeugen, dass sie ihren Hungerstreik jetzt beenden sollen.

Ich teile die Sorgen dieser beiden jungen Menschen um die Zukunft unseres Planeten. Und ich kann verstehen, dass sie zu radikalen Mitteln greifen, um die Menschheit und unsere Politiker wachzurütteln. – Was mich aber erschüttert hat, war zu sehen, wie die Gedanken dieses jungen Mannes ganz gefangen waren in seiner Sorge und im Negativen. Gegen jeden noch so kleinen Hoffnungsfunkten hatte er sofort irgendeine negative Studie parat. Seine Gedanken erlaubten ihm gar keinen Ausweg aus dem Strudel des Negativen. Er wollte ganz offensichtlich keinen Ausweg gezeigt bekommen, keinen Hoffnungsschimmer akzeptieren und schon gar keinen Grund zu Freude oder gar Dankbarkeit erkennen. Seine Gedanken waren besetzt von negativen Studien und Horrorszenarien.

Gott und Umkehr zu Jesus Christus spielte erwartungsgemäß keine Rolle im Gespräch zwischen Robert Habeck und dem hungerstreikenden jungen Mann. Und doch: Wie sehr würde ich diesem jungen Mann eine Umkehr wünschen. Eine Hinwendung zu Gott, dass er – wenn er schon alle Hoffnung auf die Hilfe von Regierungen und Politikerinnen verloren hat, doch mit dem Psalmbeter hoffen dürfte: Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. – Dass er doch die Hoffnung und das Vertrauen haben dürfte, dass diese Erde nicht untergehen wird, wenn Gott das nicht will und zulässt.  Dass er doch die Hoffnung mit mir teilen könnte, dass Gott auch noch im Untergang – wenn es denn soweit kommt, bei uns ist. Und auch meine letzte Hoffnung, dass Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, wenn dieser Himmel und diese Erde vergehen, würde ich so gerne teilen mit dem jungen Mann im Hungerstreik. Und dass wir um Jesu Willen auf dieser neuen Erde leben werden: in Gottes ewigem Reich. So sagen wir es doch immer am Ende vom Vaterunser: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Versteht mich bitte nicht falsch: Solange wir auf dieser Erde leben, haben wir die Pflicht, alles zu tun, was in unserer Macht steht, Gottes Schöpfung zu bewahren. – Gott hat uns niemals gesagt, dass wir diese Erde herunterwirtschaften dürfen!

Aber Umkehr und Hinwendung zu Gott lässt uns eben niemals hoffnungslos zurück, auch wenn wir – wie dieser junge Mann – offenbar jede Hoffnung auf eine Wende zum Guten aus eigener Kraft verloren haben.

Durch Umkehr und Hinwendung zu Gott wird der Blick frei für schöne und frohe Dinge im Hier und Jetzt. Frei für den einen oder anderen Hoffnungsstrahl in scheinbarer Ausweglosigkeit. Und frei für Gottes unbegrenzte Möglichkeiten. - Selbst im finsteren Tal sieht der befreite Blick dessen, der zu Gott umgekehrt ist, Stecken und Stab des guten Hirten und findet darin Trost. Durch Umkehr und Hinwendung zu Gott wird das Herz frei, vor Gott ein dankbares Aufatmen zu wagen.

Umkehr zur Dankbarkeit, das kann ganz grundlegende Dimensionen annehmen: als Entschluss, sich von einem insgesamt gottvergessenen Leben abzukehren und künftig Gott einzubeziehen in alles Tun und Lassen, in Reden und Hören, Denken und Fühlen. Kurz: statt eines gottvergessenen Lebens ein Leben mit Gott zu leben und mit ihm zu rechnen - auf Zeichen seiner Güte zu achten und spürbare Zeichen seiner Liebe jeden Tag zu erwarten.  – Nach Zeiten von Leid und Schmerz und Zweifel: von Gott wieder Gutes zu erwarten.

Am Erntedankfest, liebe Gemeinde, geht es nicht um die lästige Pflicht, uns Gott gegenüber wenigstens einmal im Jahr ein knappes „Danke“ abzuringen. Sondern es geht darum, einen zufriedenen und fröhlichen, einen dankbaren und hoffnungsvollen Blick auf unser Leben zurück zu gewinnen. Wo der Blick wieder frei wird für die schönen und die guten Dinge in unsrem Leben, wo unser Denken wieder frei wird  für Gottes Zusagen und Verheißungen und für Gottes Zukunft, da gehen uns dann auch wieder Lob und Dank über die Lippen. Und die Zunge wird frei für ein Lied.

Nun aber, was hilft uns, den Grund zu Dank und ewiger Freude vor Augen zu haben?  Was hilft uns, nicht erneut abzurutschen in die Gefangenschaft der Gedanken im Negativen und im Dunkel?  Was hilft uns gegen die Gottvergessenheit?

Nun, gegen die normalen alltäglichen Vergesslichkeiten hilft ja der bekannte Knoten im Taschentuch. Kleine Zeichen, über die wir früher oder später stolpern und die uns dadurch an etwas erinnern.

Solche kleinen Zeichen können wir auch setzen gegen die Gottvergessenheit, wenn wir den Blick für das Schöne und die Dankbarkeit vor Gott nicht vergessen wollen.

Ein schlichtes Tischgebet, das wir uns angewöhnen, kann ein solches Zeichen sein: „Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von dir. Hast auch unser nicht vergessen, lieber Gott, wir danken dir. Amen.“

Wenn wir uns angewöhnen, jede Woche ein Lied mit aus dem Gottesdienst nach Hause zu nehmen, das uns an Gottes Fürsorge erinnert, oder eine Liedstrophe als Begleiterin durch die Woche, dann kann das auch so etwas sein wie ein Knoten im Taschentuch gegen die Gottvergessenheit.  – Singt es immer wieder: laut in der Badewanne oder leise bei der Fahrt zur Arbeit.

Die Tageslosungen der Herrnhuter Brüdergemeine können so ein Knoten im Taschentuch sein und verhindern, dass Gottes Liebe und seine Wohltaten bei uns in Vergessenheit geraten.

Im Urlaub, aber auch an jedem Sonntag, kann man sich ganz besonders die Zeit nehmen für den Blick auf das Schöne, Zeit für Gott und Zeit für Dankbarkeit.

Natürlich ist auch das Erntedankfest selbst wie so ein Knoten im Taschentuch, damit wir wenigstens einmal im Jahr darüber stolpern. Erntedankfest immer im Herbst, am ersten Sonntag im Oktober oder am letzten im September, wenn draußen auf den Feldern und in den Gärten viele Früchte reif sind und Gottes Fürsorge mit Händen zu greifen ist.

Und ich hab Euch heute noch etwas mitgebracht, mehr so aus dem Bereich Frühling und Frühsommer: Unsere Konfis bringen Euch jetzt ein Bild von einem Vergissmeinnicht. (Konfis verteilen die Bilder unter den Gottesdienstbesuchern)

Vielleicht könnt Ihr Euch vornehmen, dieses Blümchen, wenn Ihr es im nächsten Frühjahr irgendwo blühen seht, als einen Gruß von Gott zu nehmen. Als ein Zeichen von Gott, der Euch sagt: „Vergissmeinnicht. Vergiss nicht, dass ich dich lieb habe und für dich sorge. Vergiss nicht, dass ich es gut mit euch meine und euch niemals verlasse.“ – Oder wie es der Psalm sagt: „Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ - Du hast Grund Dich zu freuen, dankbar auf Dein Leben zu schauen und ja, auch hoffnungsvoll in die Zukunft. –

Wenn Ihr das Vergissmeinnicht im Frühling als einen Gruß von Gott versteht, dann habt Ihr im Jahreslauf neben dem Erntedankfest einen zweiten Knoten im Taschentuch.

Vielleicht stellt Ihr das Bild vom Vergissmeinnicht ja eine Zeitlang ins Bad neben Euren Zahnputzbecher als kleine Maßnahme gegen Eure Vergesslichkeit Gott gegenüber. Gott sagt: „Vergissmeinnicht“. Und „Vergiss nicht zu danken.“ – Es wird Dir gut tun! Amen.