Predigt zum Nachlesen

Predigt am 1. Advent, 28. November 2021 in Hugsweier und Langenwinkel von Prädikant Stephan Müller

Predigttext: Matthäus 21, 1-11 (Evangelium)
Jesu Einzug in Jerusalem
1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus 2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! 3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. 4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): 5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« 6 Die
Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf. 8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! 10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? 11 Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

 

Liebe Gemeinde,
Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch. Und: Hosianna. Gelobt sei, der da kommt im Namen Gottes. Es ist Advent – das heißt Ankunft. Jesus ist in Jerusalem angekommen und
zieht ein. Und wir sind dabei! Wir hören den Jubel! Um uns sind begeisterte Menschen. Sie legen Palmzweige und sogar Kleider auf den staubigen Boden. Viele schreien: »Hosianna,
dem König Davids!« Jesus erlebt einen Jubel-Empfang! Aber zugleich liegt etwas Geheimnisvolles darüber. Wir heute wissen: Wenige Tage später wurde Jesus der Prozess gemacht. Da schrien die Leute ganz anders: Nicht mehr »Hosianna«, sondern »Kreuzige ihn!«
Jesus ist mir sympathisch, weil er auf einem Esel daherkommt. Schauen wir doch mal besonders auf den Esel: Sein struppiges Fell, seine kleinen Ohren. Ich weiß, dass Esel laut und herzzerreißend schreien können. Aber der hier ist still. Oder höre ich doch von ihm ein leises I-A?
Der Kirchenvater Hieronymus sagte, die zweite Hauptperson bei diesem Einzug neben Jesus sei dieser Esel. Hieronymus hat das hintergründig gemeint. Natürlich steht Jesus im Mittelpunkt.
Aber der Esel bringt vieles zum Ausdruck, was wir nicht auf den ersten Blick erkennen. Darum kann uns der Esel Wichtiges über Jesus sagen.
In der Frühzeit Israels waren Esel königliche Tiere. Auf ihnen zu reiten war ehrenvoll. Daran erinnert das Wort des Propheten Sacharja, das unser Bibelwort erwähnt: »Dein König kommt zu dir – auf einem Esel!« Viele, die den Einzug Jesu in Jerusalem miterlebten, wussten das. Jesus gebührt besondere Ehre! Er ist unser König! In ihm erfüllt Gott die alten Verheißungen, dass wir einmal wieder einen guten König haben sollen. Er wird endlich das Unrecht beseitigen und uns ein gutes Leben schaffen!
Darum, liebe Gemeinde, heißen ja auch wir Jesus in diesem Gottesdienst willkommen. Er kommt direkt von Gott. Er bringt Gott in unsere Welt. Wir dürfen von ihm viel erwarten. Er macht unser Leben heller und heil. Hosianna! In diesem Jubelruf klingt auch unsere Sehnsucht mit. Darum jubeln wir mit! König Jesus, sei willkommen!
Sie ist groß, die Sehnsucht nach dem Erlöser, der heilt. Sie ist groß, die Sehnsucht nach dem Retter, der die Dinge regelt, der eine gute Ordnung schafft. Wir Menschen sind da überfordert. Wer auf den starken Mann / die starke Frau hofft, wird meist enttäuscht.
Aber dazu will uns der Esel noch ein Zweites sagen.
Esel galten zurzeit Jesu immer auch als Arbeitstiere. Esel sind verlässliche, strapazierfähige Lasttiere. Man kann in Israel auch heute noch viele Esel sehen, die riesige Lasten aus Holz, Stroh und Heu tragen und zudem oft noch einen Mann oder eine Frau auf dem Rücken haben.
Jesus selbst sah sich als Lastenträger! »Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken« sagt er. »Meine Last ist leicht und mein Joch ist sanft.« So macht Jesus sich für uns zum Esel. Er trägt an unseren Lebenslasten mit. Er nimmt uns die Last der Schuld ab. Er trägt, er erträgt uns. Er ist ein verlässlicher, strapazierfähiger Helfer. All das hängt auch zusammen mit einer besonderen Fähigkeit der Esel: Sie wittern wie viele andere Tiere Gefahren! Biblische Beispiele zeigen das: Der Esel des Bileam etwa hat eine Gefahr erkannt und hat Bileam gewarnt und bewahrt.
Auch Jesus weiß viel mehr als wir um die Gefährdungen, denen wir ausgesetzt sind: Er weiß, wie die Schuld uns bedrängen kann. Er sieht, wie wir hochmütig werden und uns überschätzen. Er ringt um uns, wo wir uns von Gott abgewandt haben und meinen, wir könnten das Leben selbst meistern. Jesus wittert Gefahren. Jesus warnt vor Gefahren.
Darüber hinaus kann uns der Esel vom Einzug noch mehr über Jesus sagen: Esel sind manchmal störrisch. Sie haben ihren Willen. So störrisch und unbeugsam hat Jesus sich den üblichen Denkmustern und Verhaltensweisen widersetzt. »Ich aber sage euch«, so drückt er das in der Bergpredigt aus. Jesus geht konsequent seinen Weg. Dabei lässt er sich nicht den Mund verbieten. Esel können ja laut und hartnäckig schreien. Auch Jesus gibt keine Ruhe. Er prangert das Unrecht an. Er spricht schonungslos davon, wie oberflächlich und gedankenlos unser Glaube oft ist. Er erinnert an Gottes Willen.
Der Esel des Einzugs gibt uns noch eine weitere Botschaft: Jesus kommt nicht auf dem hohen Ross daher. Er hat den Mut, auf einem Esel einzuziehen. Er ist mutig. Er ist de-mutig, demütig. Er hatte ja nicht einmal einen eigenen Esel, sondern musste sich einen ausleihen. Und er behält beim Einzug die »Bodenhaftung«. Wer auf einem Esel reitet, dessen Füße reichen fast auf den Erdboden hinab. Jesus war nie abgehoben. Er nahm teil an Freud und Leid der Menschen. Er beugte sich zu den Kranken hinab.
Jesus ist demütig. Dabei merken wir: Jesus ist ein König. Aber er ist zugleich unser Menschenbruder. Darum geht er nicht herrisch mit uns Menschen um, sondern sanftmütig. Manche hielten ihn deshalb für zu nachgiebig. Aber wo es darauf ankam, hat Jesus gekämpft. Und er hatte zugleich den Mut, sanft und behutsam zu sein! Weil Jesus sanft, einfühlsam, behutsam war, – darum hat er auch immer wieder I-A gesagt.
Genauer: Er hat JA gesagt. Ja, zu uns Menschen mit all unseren Schwächen und Grenzen. Ja zu unserer Hilfsbedürftigkeit. Ja zu unserer Verflochtenheit in Schuld und Eigennutz. Jesus hat Gottes I-A, Gottes Ja zu uns getragen.
Nun können wir noch bedenken, welche Rolle wir beim Einzug Jesu haben könnten? Der brasilianische Befreiungstheologe Bischof Helder Camara sagte in einer Predigt zu unserem Bibelwort: »Jesus, lass mich dein Esel sein!« So umschrieb er die Aufgabe, die er als Christ wahrnehmen wollte. Helder Camara starb 1999 und er kämpfte in seinem Land gegen Unrecht und politische Ungerechtigkeit. Er hatte die von mir beschriebenen »Eselsqualitäten«: Er war unbeugsam, wie ein störrischer Esel. Er erkannte Gefahren. Er sagte laut, was ihm wichtig war. Er war mutig und zugleich demütig, denn er stellte sich nie in den Mittelpunkt. Er war
sanftmütig und ein guter Gesprächspartner. Und er ließ in seinem Kampf als Christ nie nach. »Herr, lass mich dein Esel sein!« Diese Bitte möchte ich für uns nachbuchstabieren. Jesus, ich vertraue darauf, dass du mich und meine Lasten mitträgst. Aber zugleich möchte ich dich in die Welt hineintragen. Jetzt im Advent will ich mit dir die Gefahren, die Anforderungen wittern, die in der Vorweihnachtszeit auf uns warten. Ich will im Evangelium noch einmal in Ruhe die Geschichten von deinem Kommen nachlesen. Ich will auf andere Menschen achten und das Schwere ihres Lebens mittragen. Ich will dabei offen und deutlich reden. Ich will mutig sein, aber auch behutsam. Ich will sanft-mutig und de-mutig, sanftmütig und demütig sein. So will ich dein Esel sein und dich zu den Menschen tragen.
Es ist also schon was dran an jener Aussage des Kirchenvaters Hieronymus, dass neben Jesus der Esel die zweitwichtigste Gestalt in der Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem ist.
Es ist Advent: Darum wollen wir Jesus auch bei uns empfangen.
Es ist Advent: Wir danken, dass er sich für uns zum Lastenträger gemacht hat.
Es ist Advent: Und wir sprechen für uns die Bitte nach: »Herr, lass mich dein Esel sein.«
Es ist Advent: Wir jubeln ihm zu und stimmen in das Hosianna ein.
Es ist Advent: Macht die Tore der Herzen und die Türen der Seele weit, auf dass Frieden in
der Welt und in uns werde.
Amen.