Predigt zum Nachlesen

Predigt am 3. Advent - 12. Dezember 2021 in Hugsweier  und Langenwinkel von Pfarrer Axel Malter

Predigttext: Jesaja 40,1-5.9-11
1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des
HERRN für alle ihre Sünden. 3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet. […]
9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott;
10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.
Herr, Dein Wort sei unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen.

Predigt:
Liebe Gemeinde, „das Trostbuch“, so ist das Buch des Propheten Jesaja ab dem 40sten Kapitel überschrieben. Was würdet Ihr in ein solches Trostbuch hineinschreiben? Wie geht trösten? Was tröstet? Welche Worte sind da richtig? „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott“ so beginnt dieses Trostbuch von Jesaja. Das ist eine Aufforderung. Also was machen wir? Wie geht das: trösten?

Wenn Ihr Euch mal erinnert an Situationen in Eurem Leben, wo Euch jemand getröstet hat, was fällt Euch da ein? Vielleicht sind es Kindheitserinnerungen: Erfahrungen, wo Euch jemand getröstet hat, als ihr noch klein wart. Vielleicht erinnert Ihr Euch, wie die Mutter oder der Vater Euch auf den Schoß genommen, Euch über den Kopf gestreichelt und gut zugeredet hat. - Vielleicht erinnert Ihr Euch, wie die Großmutter voller Mitgefühl
„Heile, heile Segen“ gesungen und versucht hat, das Aua überm aufgeschlagenen Knie wegzupusten. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an Geschichten, mit denen der Opa versucht hat, Euch von Eurem kindlichen Kummer abzulenken und wieder zum Lachen zu bringen. – Oder Ihr erinnert Euch an das Gutsele, das Onkel Karl zum Trost aus seiner Jackentasche gezaubert hat.
Kinder muss man ja oft trösten, denn sie weinen viel. Man könnte auch sagen. Kinder darf man viel trösten, denn sie zeigen ihre Tränen noch ganz offen. Und meistens gelingt das ja auch ganz gut, ein Kind zu trösten.
Ich kann mich aber auch an Situationen erinnern, wo ich als Erwachsener getröstet worden bin. Und ich hoffe, auch Euch fällt manches ein, was Ihr an Trost erfahren habt, und Ihr erinnert Euch, wie gut es sich anfühlt, getröstet zu werden.
Trösten hat oft eine ganz handfeste, körperliche Seite: in den Arm nehmen, die Hand halten, den Rücken streicheln oder den Kopf, ein Kind auf den Schoß nehmen und es sanft schaukeln. Spürbar da, sein, nah sein. Vielleicht auch ausdrücklich sagen: Ich bin da. Ich lass Dich nicht allein. Mit voller und ganzer Zuwendung. Und mit Zeit. - Kinder sind oft schnell getröstet. Bei Erwachsenen muss man sich manchmal mehr Zeit
nehmen, oder man muss sich öfter Zeit nehmen.
Auch etwas zu essen oder zu trinken darf man nicht unterschätzen im Prozess des Tröstens. Für jemand kochen, gemeinsam essen oder ein Stück Kuchen vorbeibringen, das ist auch ein ganz handfester, körperlicher und seelischer Trost. Selbst dann, wenn die frisch gekochte Tasse Tee nur dazu dient, dass sie langsam kalt wird, während man sich beim Gespräch daran festhält.
Diese handfeste körperliche Seite des Tröstens, die fällt natürlich weg in einem Trostbuch. Denn in einem Buch stehen nur Worte und Sätze und Gedanken zur Verfügung. Vielleicht noch Bilder und Vergleiche. Wie geht trösten mit Worten? Welche Gedanken können tröstlich sein? Und welche Bilder?

Schauen wir mal, wie Jesaja das macht. Beziehungsweise: wie Gott das macht. Denn der Prophet gibt ja Gottes Worte und Botschaften weiter. Tröstet, tröstet mein Volk, spricht Gott der Herr. Redet mit Jerusalem freundlich. - Freundliches Reden ist tröstlich. Nicht vorwurfsvoll „Warum heulst Du schon wieder?“. Nicht appellierend „Reiß Dich halt zusammen! Kopf hoch!“. Nicht besserwisserisch „Ja, Du hättest das alles halt auch ganz
anders anpacken sollen. Dann wärst du jetzt nicht so übel dran.“. Nicht von oben herab: „Du musst das positiv sehen“. Auch nicht schnell und billig: „Das wird schon wieder“. Sondern freundlich. Redet freundlich - mit Jerusalem und mit allen anderen Trostbedürftigen. Redet freundlich.
Aber jetzt zum Inhaltlichen: Was kann man sagen, wenn man tröstlich und freundlich redet? In Jesajas Trostbuch heißt es: „Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat.“ Das Ende von Knechtschaft ansagen, das ist der erste Inhalt des tröstlichen Redens. Die Sklaverei für beendet erklären. Darin liegt ein Trost. Das Ende von drückender Last und schädlichen Bindungen, das Ende von Ketten
und Peitschen und kommandierenden Stimmen ansagen. Das Ende der Unfreiheit verkündigen. Das ist der Inhalt des Trostes. Den Weg in die Freiheit ansagen. Einen Weg heraus aufzeigen oder im Gespräch miteinander finden. Darauf vertrauen und davon reden, dass ein Weg sich auftut. Wie durch ein Wunder. Ein Weg mit Gott. Ein Weg in die Freiheit. Ein Weg, den man gehen kann, auch wenn man gerade keinen
Ausweg sieht. – „Gott zeigt mir den Weg, wenn ich keinen Ausweg seh …, heißt es in einem modernen christlichen Lied. Und in einem weniger modernen, aber immer noch aktuellen Lied von Paul Gerhard aus dem Gesangbuch heißt es : „Er wird auch Weg finden, da dein Fuß gehen kann.“
Das Volk Israel hat Erfahrung mit solchen Wegen in die Freiheit. Der Auszug aus der Knechtschaft in Ägypten, das ist die grundlegende Erfahrung von Befreiung, welche für die ehemaligen Sklaven ganz fest mit ihrem Gott verbunden ist. Wir haben einen Gott, der in die Freiheit führt - auch wenn der lange Weg aus der Sklaverei ins gelobte Land anschließend nicht immer leicht war. Das ist ein ganz wichtiges Bild in Jesajas Trostbuch: Wege, wo eigentlich gar keine sind. Und die dennoch erfolgreich gegangen werden mit Gottes Hilfe, wie zum Beispiel beim Durchzug des Israeliten durchs Meer. Ein weiteres Bild im Trostbuch ist die Wolken und Feuersäule, das heilige Zelt mit den Tafeln des Bundes als Zeichen für Gottes Anwesenheit, als Zeichen dafür, dass er mitgeht. Oder die kleinen Krümelchen vom Himmelsbrot, vom Manna, die Tag für Tag mitten in
der Wüste auf dem Boden zu finden waren. Aber niemals auf Vorrat, sondern immer nur für einen Tag. Das sind Bilder vom Auszug aus Ägypten. Bilder vom Weg aus der Unterdrückung in die Freiheit. Bilder der Erinnerung für Jesajas Trostbuch.
Und dann malt der Prophet Jesaja ein neues Bild vom Weg in die Freiheit: Der Auszug Kriegsgefangenen, für ihre Kinder und ihre Enkel. Es ist ein ziemliches Monumentalgemälde. Berge und Hügel werden verschoben, um den 1500 km langen Weg von Babylon nach Jerusalem zu ebnen. Der Weg durch die bergige Wüste wird hier dargestellt als ebene Bahn. Eine Schneise wird geschlagen und zurechtgeschoben. Mich erinnert das ein bisschen an große Infrastrukturprojekte in unserm Land, wenn für Bahn oder Autobahn eine möglichst ebene Trasse gebaut wird. Da werden auch Hügel eingeebnet, Brücken über Täler gebaut und Tunnel gebohrt. Damit die Strecke so direkt und so schnell wie möglich wird. So malt der Prophet Jesaja in seinem Trostbuch den Weg aus der Gefangenschaft in die Freiheit. Alte und Junge, ein langer Zug kommt gelaufen, zu Fuß und mit Karren, mit Kamelen, Eseln, vielleicht mit Pferden. Sie werden freudig erwartet am Ziel des Weges: In Jerusalem auf dem Berg Zion halten die Wächter Ausschau nach dem Zug, die Freudenboten rufen den Wanderern entgegen: „Fürchtet euch nicht! Schaut, da ist euer Gott. Er geht mit euch. Wie ein Hirte, der seine Herde führt, so ist Gott dabei auf eurem Weg in die Freiheit. Gott geht mit, auch wenn der Weg lang ist, steinig und schwer.“ Dieses Bild malt Jesaja den Verbannten vor Augen: „Fasst Mut! Ihr müsst nicht in Gefangenschaft bleiben, ihr könnt losziehen in die Freiheit, auch wenn der Weg dorthin lang ist, steinig und schwer. Aber Gott begleitet euch. Glaubt an Gott, denn er glaubt an euch und an eure Zukunft.“

Manche Senioren können heute noch erzählen wie es war, als der Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkam. Andere Menschen können erzählen, wie es ihnen gelungen ist oder eher geschenkt worden ist, sich von drückenden Lasten der Vergangenheit zu lösen, eine schwere Kindheit hinter sich zu lassen oder aus einer toxischen Beziehung rauszugehen. Wieder andere können berichten von ihrem Weg heraus aus den Ketten einer Sucht. Oder davon wie sie aus einer bedrückenden Mobbing-Situation einen Ausweg gefunden haben. Und noch andere können erzählen
von ihrem Weg zu innerer Freiheit, Freiheit z.B. von den Stimmen, die einen wie mit der Peitsche im Kommandoton vorwärts jagen: „Du musst besser sein. Es ist nicht genug, was du kannst und hast und bist.“ Es gibt solche Erfahrungen vom Weg in die Freiheit auch heute noch. Und es ist tröstlich, sie als Hoffnungsbild ganz behutsam zusammen mit Verzweifelten, resignierten, hart gewordenen Menschen zu entwickeln. Als motivierendes Zielbild. Als Zukunftsvorstellung. Wer sich auf einen solchen Aufbruch in die Freiheit einlässt, für den ist es tröstlich, Menschen an der Seite zu haben, die mitgehen, die freundlich mit einem reden, die mit einem leiden und hoffen, die auch mal ganz handfest da und nah sind. Und ebenso tröstlich ist es zu wissen, und gesagt zu bekommen: Gott geht mit. Du gehst nicht allein. Gott ist mit dabei. Der Weg in die Freiheit, das ist sein Ding, seine Spezialität. Er liebt es, Menschen in die Freiheit zu führen.
Und das Neue Testament malt dann noch ein weiters Bild vom Auszug aus der Sklaverei. Dort ist es der Weg heraus aus Sünde und Tod. Der Weg in die Freiheit des ewigen Lebens. Ein Weg, der über die Erfahrungen, die wir in diesem Leben machen können, weit hinausgeht. Jesus Christus hat diesen Weg in die Freiheit gebahnt. Er ist vorausgegangen, durch Kreuz und Tod und Grab zur Auferstehung. Er hat diesen Weg geebnet für alle, die ihm nachfolgen. Wie ein guter Hirte führt er seine Herde auch auf diesem Weg durch das dunkle Tal des Todes ins himmlische Licht des ewigen Lebens. Auszug aus Ägypten, Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft, der Weg durch das Grab hindurch, aus dem Machtbereich des Todes in den Glanz der Ewigkeit, all das sind Bilder vom Weg aus der Knechtschaft in die Freiheit. Trostbilder auch für unser Trostbuch. Und der Text dazu heißt: Die Knechtschaft hat ein Ende. Die Schuld ist vergeben. Schaut, da ist euer Gott. Siehe da, er kommt, er führt Euch aus Knechtschaft und Gefangenheit zum Ziel: in die Freiheit, in seine Ewigkeit.
Gott wird wie ein guter Hirte seine Herde weiden und seine Schafe zum Ziel führen.
Amen.