Predigt zum Nachlesen

Predigt am 06. Februar  2022, 4. So. vor der Passionszeit  von Pfarrerin Renate Malter

Predigttext: Matthäus 8,5-13

5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's. 10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

Predigt:
Liebe Gemeinde,
wir sind es gewohnt, dass Jesus Kranke aller Art heilen konnte. Solche Geschichten kennen die meisten von klein auf. Jesus, der Heiland, so nennen wir ihn im deutschen Sprachraum, seitdem ein mittelalterlicher Dichter im 9. Jahrhundert das Evangelium auf Sächsisch in Verse fasste und dabei das Wort „Heiland“ erfand. Der Heiler, der Heil im Land verbreitet. Als Heiland tritt Jesus auch in der Geschichte vom Hauptmann in Kapernaum
auf. Er heilt den kranken Knecht des Hauptmanns. Zwei Dinge sind an dieser Heilungsgeschichte jedoch ungewöhnlich. Man übersieht das leicht. Erstens: Der Hauptmann war ein römischer Offizier. Er gehörte zur Besatzungsmacht im Land Israel. Er war also, schlicht gesagt, ein Feind. Und sein Knecht ebenso. Die beiden gehörten zu den Unterdrückern im Land. Die römischen Soldaten hatten dafür zu sorgen, dass das System der Ausbeutung mit hohen Steuern und Abgaben an den Kaiser in Rom reibungslos funktionierte und dass die Einheimischen nicht aufmuckten. Aufruhr mussten sie mit aller Gewalt unterdrücken.
Am Ende wird Jesus übrigens wegen Aufruhr von römischen Oberbefehlshaber Pontius Pilatus zum Tod verurteilt und von römischen Soldaten gekreuzigt. Die Römer waren da nicht zimperlich bei allem, was irgendwie ihre Macht in Frage zu stellen schien. Zu Recht oder zu Unrecht wurde damals manchem kurzer Prozess gemacht wegen „Terrorismus“. Also ein römischer Hauptmann mitsamt seinen Helfern, der gehörte zur Zeit von Jesus gewiss nicht zu den Guten aus der Sicht des jüdischen Volkes. Und genau das ist also die erste Besonderheit an dieser Heilungsgeschichte: Jesus hilft einem Feind. Einem von den „Bösen“. Er heilt einen Soldaten der Besatzungstruppe. Und die zweite Besonderheit an der Heilungsgeschichte vom Hauptmann von Kapernaum ist: Hier geschieht eine Fernheilung. Eine Heilung, die Jesus bewirkt ohne Kontakt zum Geheilten. Mindestens Blickkontakt hat er sonst immer. Oft sogar Hautkontakt. Er berührt die Kranken, streicht über ihre Wunden, nimmt sie bei der Hand, richtet sie auf, und lässt sich berühren. Oder er spricht mit
den Kranken, hört ihre Bitte, sagt ihnen direkt ein heilsames Wort. In diesem Fall geht es ohne das. Der kranke Knecht wird geheilt aus der Entfernung. Es gibt im Matthäusevangelium nur eine einzige ähnliche Heilungsgeschichte: Eine kananäische Frau bittet Jesus, dass er ihre kranke Tochter gesund macht. Und als sie nach Hause kommt, ist das Mädchen gesund. Auch in diesem Fall ist es eine Ausländerin, die bei Jesus Hilfe sucht. Das sind die beiden Besonderheiten an dieser Heilungsgesichte: ein Feind wird geheilt. Und es ist eine Fernheilung. Jesus heilt ohne direkten Kontakt zum Kranken.
Ich will jetzt bei zwei Details in der Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum ein bisschen genauer hinschauen. Bei zwei Sätzen, die der Offizier sagt. Der erste Satz: „Ich bin nicht würdig…“ oder in andern Übersetzungen „ich bin nicht wert“. Und der zweite Satz: „Sprich nur ein Wort“
„Ich bin nicht wert, dass Du unter mein Dach gehst“ sagt der römische Zenturio zu Jesus. Was sind das für Situationen, wo jemand sich nicht würdig fühlt? Nicht wert? Redet man so aus bescheidener Höflichkeit? So wie manche Leute augenzwinkernd sagen „meine Wenigkeit“, wenn sie von sich selber sprechen? Oder ist es eine besondere Form der Ehrerbietung, die den andern groß macht, indem der Sprecher sich selber klein macht? So ähnlich wie in manchen Lobpreisliedern auch „Du bist würdig, Du bist heilig, Du bist erhaben“ usw. singen wir da. Schon Paul Gerhardt dichtete so: „Ach ich bin viel zu wenig, zu rühmen seinen Ruhm. Der Herr allein ist König, ich eine welke Blum…“ Gott ist so groß, wer bin ich schon vor ihm, ich kleiner Mensch? Ich bin nicht würdig - ER ist würdig. IHM gehört die Ehre.
Ich bin nicht wert... Vielleicht spricht so auch jemand, der andern keine Umstände machen will? Der niemandem zur Last fallen will? Bitte mach keinen großen Aufwand wegen mir! Ich will Dich keine Mühe kosten. Ich bin nicht wert, dass Du diesen extra Weg gehst wegen meinem Anliegen, diese zusätzliche Anstrengung, die will ich Dir nicht zumuten... Was für ein Lebensgefühl steckt dahinter? Vielleicht das eines sehr selbständigen
Menschen, der es nicht gewohnt ist, dass er auf Hilfe von andern angewiesen ist? Oder von einem, der sich wertlos fühlt, wenn er ein Problem hat, das er nicht selber lösen kann? Spricht so eine Mensch, der seinen Wert darin sieht, dass er funktioniert? Ich bin nicht wert… So ein allgemeines Gefühl von "Ich bin nicht gut genug" könnte auch mitschwingen. Und vielleicht fühlt der Kriegsmann auch das Blut, das an seinen Händen klebt und an den Händen seiner Soldaten und schämt sich dafür? Fühlt sich schuldig, dafür dass er zu den Bösen gehört? Und sagt deshalb „Ich bin nicht würdig…“
Natürlich könnte auch ein ganz praktischer Grund dahinterstehen. Möglicherweise kannte der römische Hauptmann die religiösen Gesetze der Juden zumindest so weit, dass er wusste: Ein frommer Jude kann das Haus
eines römischen Heiden nicht betreten, ohne sich zu verunreinigen. Vielleicht wollte er das dem jüdischen Gottesmann Jesus nicht zumuten? Oder umgekehrt. Vielleicht wäre es dem Hauptmann auch furchtbar peinlich
gewesen, wenn in seinem Haus so ein jüdischer Wanderprediger aufgetaucht wäre? vor den Augen seiner 100 Soldaten, denn über so viele hatte ein Zenturio das Kommando. Vielleicht würde das seiner Würde als Vorgesetzter schaden?
Wir wissen es nicht, was ihn dazu bewegt hat, so zu formulieren. Ich bin nicht wert… Vieles schwingt in diesen Worten mit. Und vielleicht kennt ihr auch solche Situationen, oder so ein Lebensgefühl, wo ihr euch unwert gefühlt habt, nicht würdig, aus welchen Gründen auch immer. Jedoch so stark der römische Hauptmann den Abstand zwischen sich und Jesus spürt, genauso stark ist gleichzeitig sein Vertrauen in die Macht von Jesus:
Sprich nur ein Wort, so sagt er zu Jesus, sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Er traut Jesus ein mächtiges, wirksames heilkräftiges Wort zu.  Sprich nur ein Wort. Vielleicht kennt ihr auch solche Situationen, wo ein Wort alles retten kann? wo ein kleiner Satz alles zum Guten wenden kann? Ich hätte da ein paar Vorschläge, ihr könnt die Liste gerne in Gedanken ergänzen: Worte, die seelisches Leid lindern. Sätze, die emotionale Anspannung und Schmerz, zwischenmenschliche Verhärtung und Verkrampfung wegnehmen können: "Komm in meine Arme" "Alles wird gut" "Ich hab Dich lieb" manchmal auch das Wort "Entschuldigung", " es tut mir leid", "Das war mein Fehler", „das hab ich nicht gewollt“. Manchmal ist auch das Wort "Danke" so ein game-changer.  Auch der Satz "das hätte mir genauso passieren können" oder "Das ist mir auch
schon passiert" kann eine Situation retten. Oder im richtigen Moment ein "JA, ich will". „Ich will mit Dir zusammen sein.“ „Ich bleib bei Dir.“ „Ich bin da.“
Sprich nur ein Wort... Worte können viel. Sie können eine schlimme Situation zum Guten wenden. Worte haben Macht in zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie haben Macht über unser seelisches Wohlbefinden. Sie
können Auswege bahnen aus manchem Leid.
Der Hauptmann traut Jesus aber noch viel mehr zu als diese jedem von uns gegebene heilsame Macht des Wortes. Er traut Jesus eine Macht zu, der die Natur gehorchen muss. Die Kräfte des Körpers müssen tun, was Jesus sagt. Gelähmte Körperteile kommen in Bewegung. Der Hauptmann traut Jesus auch Eine Befehlsgewalt zu über schädliche Mächte. Sprich nur ein Wort, so muss die Krankheit weichen.
Er selbst als Hauptmann ist wohl vertraut mit der Macht, Befehle auszusprechen, die dann auch ausgeführt werden. Er kann Freund und Feind Kommandos erteilen. Seine eigenen Leute müssen ihm gehorchen und auch die
Bewohner des eroberten Landes, die besiegten Feinde müssen seine Befehle befolgen. Ein Wort genügt: Komm her, geh weg, tu dies lass jenes...!

Sprich nur ein Wort, Jesus! Du hast die Macht dazu. Und Du nutzt sie zum Guten. Dein Wort vertreibt Schaden und Schmerz. Dein Wort bewirkt Positives, Heiles. Sprich nur ein Wort. So sieht der Hauptmann den Heiland. Das ist sein Bild von Jesus.
Und damit ist dieser Heide mit seinem Gottesbild gar nicht so weit weg vom biblischen Schöpfungsglauben. In der Schöpfungsgeschichte im ersten Kapitel der Bibel, da wird erzählt, wie Gott die Welt entstehen ließ aus Finsternis und Tohuwabohu: Nur durch sein mächtiges Wort. Gott sprach: "Es werde..." und es wurde. Es wurde Licht. Und es wurde Ordnung. Macht kommt von machen.
Gottes Wort macht die Welt. Gottes Wort ist mächtig. Es ruft die ganze Welt ins Leben, lässt Gutes und Schönes entstehen. Und Gottes mächtiges Schöpferwort begrenzt die Mächte des Chaos und der Finsternis.
Es scheint, der römische Hauptmann hat ziemlich genau begriffen, wen er mit Jesus da vor sich hat, dass er ihm ein solches wirkmächtiges Wort zutraut. Und wir können uns zwei Dinge von diesem Hauptmann abschauen. Das eine ist: Egal, wie würdig oder unwürdig, wie wertvoll oder wertlos wir uns fühlen - wir dürfen beherzt Jesus ansprechen mit unsern Themen und Problemen. Egal wie völlig daneben oder unwichtig oder total unmöglich es uns vorkommt, dass Jesus sich ausgerechnet um unser Anliegen kümmert. Wir können es so machen wie der Hauptmann von Kapernaum.
Und das zweite, was wir von diesem römischen Offizier lernen können ist: heilsamen Macht des göttlichen Wortes. Lassen wir uns daran erinnern, wer es ist, der Welt und Weltall ins Leben gerufen hat durch sein mächtiges Wort. Und vertrauen wir darauf, dass er auch für uns ein heilsames, tröstliches, aufrichtendes, wirksames Wort hat zur rechten Zeit. Amen.