Predigt zum Nachlesen

Predigt am 27. März 2022, Laetare von Pfarrer Axel Malter

Predigttext: 2. Korinter 1,3-7
3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.
5 Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.
6 Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.
7 Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil.

 

Predigt:
Liebe Gemeinde,
manchmal fehlen einem die Worte.
Kennt Ihr das auch? Da war in der Post eine Todesanzeige. Ich möchte reagieren und den Angehörigen schreiben. Aber was schreibt man da?
Hab ich Worte, die trösten können?
Kondolenzbriefe zu schreiben, ist mit das Schwerste. Worte, die einem einfallen, kommen einem im nächsten Augenblick hohl vor und leer und unbedeutend. Womöglich ist jedes Wort zu viel und rührt nur allen Schmerz neu auf in den Hinterbliebenen. Wenn es ein alter, kranker Mensch war, der da verstorben ist, dann mag das ja noch gehen. Da findet man noch Worte – vielleicht.
Aber wenn ein Kind gestorben ist oder wenn etwas anderes Dramatisches passiert ist, was sagt man dann?
Ja, manchmal fehlen die Worte. Menschen in Trauer erzählen mitunter, dass ihnen Nachbarn und Bekannte aus dem Weg gehen. Sie wechseln sogar die Straßenseite, um eine Begegnung zu vermeiden.
Sie meinen das nicht böse. Sie sind unsicher. Sie meiden die Begegnung, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. – Aber dadurch wird es nicht besser. – Was soll man also
sagen: Einfach nur „Wie geht’s denn?“ – Blöde Frage?
Ja, manchmal fehlen einem die Worte. Das ist so.
Aber – vielleicht ist das ja auch ganz richtig so. dass uns da die Worte fehlen. Sind nicht die Leute am schlimmsten, die zu allem und jedem irgendwas zu sagen wissen? Am besten noch irgendwas Schlaues, irgendeine Erklärung oder irgendeinen frommen Satz, warum der liebe Gott es wohl so oder so gewollt haben wird und dass man sich nun eben fügen müsse … - Ist das der Grund, warum Angehörige oft sagen: „Von
Beileidsbekundungen am Grab bitten wir Abstand zu nehmen.“? - Um beiden Seiten die Peinlichkeit verlegenen Schweigens zu ersparen – oder um den Schmerz durch oberflächliche Weisheiten zu vermeiden?
In Dankesanzeigen in der Zeitung schreiben Angehörige manchmal: „Danke für eine stumme Umarmung.“ Vielleicht ist eine stumme Umarmung, wenn auch nicht unbedingt am offenen Grab, ja
wirklich hilfreicher als alle Worte. Was tröstet Euch, wenn Ihr Trost braucht? Dass es in jedem Leben Situationen gibt, wo wir Trost brauchen, das ist unbestritten. Die Bibel spricht da ganz ehrlich vom Menschen.
Wir brauchen Trost, weil es Zeiten gibt, in denen wir zu leiden haben, ohne dass gleich alles wieder gut wird. Das muss nicht immer ein Todesfall sein.
Und vielleicht tröstet es ja erst einmal, wenn es einen Menschen gibt, der es bei uns aushält und nicht wegläuft. Der sich zu uns gesellt im Leiden. Vielleicht, ich wünsche es Euch, gibt es einen solchen Menschen in Eurem Leben, der es auch im Leiden an Eurer Seite aushält. Vielleicht durftet auch Ihr schon einmal so ein Mensch sein für einen anderen. Nicht weglaufen vor dem Leid, auch wenn es nicht besser wird, das ist tröstlich. Mitleid
im besten Sinn. Paulus spricht von der Geduld, die wir im Leiden brauchen. Das gilt für den leidenden Menschen selbst, aber auch für den, der ihm beisteht und es mit ihm aushält. Geduld –
die Bereitschaft, das Leiden auszuhalten so lange bis es nachlässt und schließlich aufhört.  Einander in den Arm zu nehmen, das Leid geduldig miteinander aushalten: ja, das tut gut. Das fühlt sich tröstlich an, wenn es mehr ist als eine oberflächliche Geste.
Trost aus dem christlichen Glauben heraus, ist aber noch etwas anderes.
Paulus zeigt es uns:
Seine Worte über den Trost beginnen mit dem Lob Gottes: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal.
In aller unserer Trübsal! In aller!
Paulus bringt Gott ins Spiel. Da traut er sich was! Denn Trauer und Leid – wo wir Gott einbeziehen in unsere Gedanken – verursachen ja oft erst einmal Zweifel und bohrende Fragen, ob es diesen Gott denn überhaupt gibt und ob wir ihm denn wirklich am Herzen liegen.
Paulus bringt Gott ins Spiel und sagt: Er, unser Herr, ist der Gott allen Trostes!
Wahren Trost in der Tiefe, und auch in den Rätseln und Abgründen unseres Lebens, gibt es nur durch diesen Gott. Weil er der Gott allen Trostes ist. Hinter allem Geschehen, hinter allem Leid und allem, was uns so weh tut und verzweifeln lässt, ist Gott da. Er ist der Vater der Barmherzigkeit. Und er ist es auch dann, wenn er Leid nicht verhindert, wenn er uns Schweres zumutet, wenn sein Handeln – oder sein Nicht-Handeln für uns dunkel, verborgen und unbegreiflich ist. Er ist der Vater der Barmherzigkeit und der Gott allen Trostes: der uns tröstet in aller unserer Trübsal.  Daran festzuhalten, das stellt unsere Füße auch in unbegreiflichem Leid auf festen
Grund. – Und wo wir zu schwach sind, an ihm festzuhalten, am Gott allen Trostes, da hält doch er an uns fest.
Es gibt nur diesen einen Trost, der unerschütterlich ist. – Und Paulus weiß, wovon er redet! Er hat selbst vielfältig gelitten. Gegen Ende des zweiten Korintherbriefes redet er davon (2. Korinther 11,23ff): Fünfmal hat er die Synagogenstrafe von je 39 Peitschenhieben erlitten. Dreimal wurde er mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt. Er war schiffbrüchig, in Todesnot, im Gefängnis. Hunger und Durst, Enttäuschung durch Menschen.
Und dann spricht Paulus noch von einem „Pfahl in seinem Fleisch“. Wir wissen nicht genau, auf welches Leid er damit hinweist. Aber Paulus beklagt, dass Gott diesen „Pfahl im
Fleisch“ nicht von ihm weggenommen hat, obwohl er Gott angefleht hat, dass er das doch tun soll.
Dieser Paulus ist es, der von Gott redet als dem Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes. Der uns tröstet in aller Trübsal. Paulus spricht also aus Erfahrung. So hätte er nicht reden können, wenn er nicht selber
allerlei Trübsal hätte aushalten müssen. Und wenn er Gott nicht selber als den Gott allen Trostes erfahren hätte.
Und dann zieht Paulus folgenden Schluss, er sagt: Das erlittene Leid und die Verzweiflung und der erfahrene Trost durch Gott, das macht einen Menschen fähig, auch andere zu trösten.
Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.
Es gibt eine Redewendung, die heißt: „Wenn der Pfarrer in die Kelter muss, dann hat die Gemeinde den Wein davon.“ Wer um Trübsal weiß in seinem eigenen Leben – und sei es die Trübsal über den Abgrund des eigenen Herzens – wer Zweifel und Verzweiflung kennt – und doch zum Gott allen Trostes seine Zuflucht genommen hat und getröstet wurde, der weiß, wie es einem gehen kann. Und von dem kann dann auch Trost ausgehen.
So jemand kann Menschen darin stärken, Gottes Zusage zu trauen, dass er an allen Tagen bei uns ist bis zum Ende der Welt. Gerade in unseren finstersten Tälern. Das gilt nicht nur von Pfarrerinnen und Pfarrern, die in die Kelter mussten, um dort zerdrückt zu werden, saft- und kraftlos. Das gilt von uns allen: Wer Trübsal selber erlitten hat und am Ende von Gott getröstet wurde, kann anderen beistehen und helfen ein Leiden geduldig durchzustehen, bis wir dann gemeinsam das tröstliche Antlitz unseres barmherzigen Vaters wieder über uns leuchten sehen. Anderen in Not beistehen, ihnen Seelsorgerin oder Seelsorger werden, das bekommt
Tiefgang und Glaubwürdigkeit durch die dunklen Stunden, die jemand selber durchstehen musste.
So ist auch zu erklären, warum die Lieder von Paul Gerhard bis heute so vielen Menschen Trost geben: Sie geben etwas weiter von dem Trost, den er selbst erfahren hat im
eigenen Leid: vom Trost, mit dem er selber getröstet wurde von Gott in all seiner Trübsal.
Aber nun geht die Botschaft noch einen Schritt weiter. Sie greift noch etwas tiefer und weist uns auf Jesus Christus selbst.
Der Wochenspruch sagt uns heute am Sonntag Lätare, dass das Weizenkorn sterben muss, damit es Frucht bringt. – So muss Jesus sterben, damit wir leben können trotz allem, was gegen uns spricht.
Er muss durchs finstere Tal der Angst im Garten Gethsemane. Er muss durch Verrat, durch Folter und Spott – und am Kreuz durch das Gefühl tiefster Gottverlassenheit – um am Ende von Gott getröstet und aufgerichtet zu werden: Um von Gott am Ende den Trost der Auferstehung zu erfahren: der Auferstehung zum ewigen Leben.
Weil Jesus sich in die Kelter begeben hat, haben wir den Wein davon. - Weil Jesus tiefstes Leid und schließlich den kräftigsten Trost von Gott erfahren hat, darum kann er Dich
und mich trösten noch im tiefsten Leid. Er wechselt nicht die Straßenseite, wenn er uns leiden sieht. Er gesellt sich zu uns, steht uns bei. Trägt mit uns unsere Last. – Jesus
Christus, das ist der glaubwürdigste Zeuge, den es geben kann, für den Vater der Barmherzigkeit und den Gott allen Trostes. Was wäre, wenn Jesus Kreuz und Leid nicht hätte erleben müssen? Dann würden wir zu ihm sagen: „Wie willst Du mich verstehen, Jesus? – Du weißt ja gar nicht wie es ist, wenn man am Ende ist und nicht mehr kann. Wenn alles gegen einen aufsteht und sich alles so verdammt gottverlassen anfühlt. Wenn Freunde einen verlassen. Wenn man Angst hat oder Schmerzen. Wenn man nur noch auf den Tod wartet. – Jesus, wie willst Du mich trösten?“
Liebe Gemeinde, Ihr merkt es, so können, nein so müssen wir mit Jesus nicht reden. Denn er ist durch die Hölle der Gottverlassenheit gegangen. Er ist weiß Gott durch die Kelter gegangen. Er weiß, wie es einem in diesem Leben gehen kann. Darum ist er ein durch und durch glaubhafter und ein überzeugender Tröster. Einer der unsere Last mit uns trägt. Und der sie am Kreuz sogar für uns trägt. Und der Apostel Paulus sagt uns: So sollt auch ihr einander trösten. „Einer trage die Last des anderen. So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus uns gegeben hat. (Galather 6,2). – Einer trage des anderen Last. So erfüllt Ihr das Gesetz, nach dem Jesus selbst gelebt
hat und das ihn schließlich an Kreuz geführt hat. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das die Sünde der Welt trägt.“ (Johannes 1,29)
Liebe Gemeinde, und was schreiben wir nun auf die Kondolenzkarte?
Ich fürchte unser Ringen um die richtigen Worte ist nicht einfacher geworden. - Vielleicht fangen wir damit an, dass wir – wenn immer es uns möglich ist - aufhören, die
Straßenseite zu wechseln. Dass wir es aushalten, wenn uns die Worte fehlen. – Nicht auszuweichen, das ist ein Trost für Leidtragende und zugleich ein wortloses Bekenntnis zu Christus, der eben auch nicht zurückweicht, wo Menschen Leid erfahren. Vielleicht ist am Ende ein unbeholfenes, aber ehrlich gemeintes „Wie geht es Dir?“ gar nicht so schlimm, wie es erst mal scheint.
Und ganz sicher können wir für trauernde oder auf andere Weise leidende Menschen beten und ihnen das auch sagen.
Wir können dafür beten, dass der Vater der Barmherzigkeit uns alle immer wieder seiner
verlässlichen Nähe gewiss macht. Und wir können dafür beten, dass der Gott allen Trostes uns immer wieder die Gewissheit als festen Boden unter unsere Füße gibt, dass alles
Leid und selbst der Tod ganz sicher nicht das letzte Wort behalten. Amen.