Predigt zum Nachlesen

21. Februar 2021, Invokavit
Hebräer 4,14-16
Prälat i.R. Dr. Helmut Barié

Thema: Jesus kann mit leiden mit unserer Schwachheit

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und von den Herrn Jesus Christus. Amen
Predigt:

Albert Einstein, der Physiker, dem wir geniale Erkenntnisse verdanken, schrieb als Widmung in eine Bibel: „Dieses Buch ist eine unerschöpfliche Quelle der Lebensweisheit und
des Trostes.“
Wir hören aus dieser Quelle Gottes Wort aus dem Brief an die Hebräer, Kapitel 4, Vers
14-16. Das ist einer der Predigttexte für den Sonntag Invokavit.

14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die
Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.

15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer
Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.

16 Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.
(Hebräer 4,14-16)

 

Liebe Gemeinde, gute Aussichten für uns!

Hilfe finden, „wenn wir Hilfe nötig haben“.
„Gnade finden“, wenn wir Gnade nötig haben. „Barmherzigkeit empfangen“, wenn wir
Barmherzigkeit brauchen. Wahrlich gute Aussichten für uns! „…damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“ Barmherzigkeit, Gnade und Hilfe zur rechten Zeit sind bei Jesus Christus zu haben. Er wird im
Hebräerbrief „großer Hohepriester“ genannt. Er kann nämlich, was keiner sonst kann.

Christus kann „mit leiden mit unsrer Schwachheit“. „Er kann mit leiden mit unsrer Schwachheit.“ O ja, unsre Schwachheit! Wenn andere gnadenlos mit uns umgehen. Fehler, die wir gemacht haben, werden uns vorgeworfen. Man zielt genau auf unseren wunden Punkt. Unsre Schwachstellen werden unbarmherzig ausgenützt. Vergeben wird nichts. Vergessen wird erst recht nichts. Es fehlt an Barmherzigkeit - hinten und vorn. Der Engländer Peter Gabriel hat zusammen mit Kate Bush den Song herausgebracht mit der Zeile: „But no one wants you, when you lose.“ „Keiner will dich, wenn du verlierst“. Keiner will dich, wenn du ein „Loser“ bist. Man hat kein Herz für die Lage eines Menschen, der arm dran ist. Das aber ist der Kern der Barmherzigkeit: Ein Herz für die Armen haben. Christus hat ein Herz für alle, die arm dran sind. Christus kann „mit leiden mit unserer Schwachheit.“ Er verlässt den Schwachen nicht. „Jesus lebt, mit ihm auch ich. Er verlässt den Schwachen nicht; dies ist meine Zuversicht.“ (EG 115,4) Der Hebräerbrief eröffnet uns eine gute Aussicht: „Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“ Jesus Christus kann „mit leiden mit unserer Schwachheit.“ O ja, unsere Schwachheit!! In der Jugend werden wir schnell schwach, wenn uns etwas verlockt. Dann lösen sich alle guten Vorsätze in Luft auf. Wer schwach wird, tut etwas, was ihm nachträglich leidtut. <> O ja, unsre Schwachheit!! Im Alter kommt zur Schwäche des guten Willens noch die körperliche Schwäche dazu. Jahr um Jahr lassen die Kräfte nach. Wenn nicht die geistigen Kräfte, dann doch die körperlichen. Auch die seelischen Kräfte werden schwächer. „Die Pufferzonen werden dünner“, sagte mir ein Mann, der vom Seelenleben einiges versteht. „Die Pufferzonen werden dünner.“ Bedrohliche Nachrichten setzen uns mehr zu als in jungen Jahren. Wir werden ängstlicher. Wir werden pessimistischer. Wir machen uns im Alter mehr Sorgen über den Lauf der Dinge. Christus kann „mit leiden mit unsrer Schwachheit, denn er ist versucht worden in allem wie wir.“ „Versucht in allem wie wir.“ In der Englischen Bibel steht hier „er wurde getestet“, „he has been tested every way“. Ja, sein Leben auf der Erde war eine Teststrecke. Hart, und wie! Wie mit Jesus umgegangen wurde, war hart, aber nicht fair.

In Diskussionen wurde er getestet. Man wollte ihn dazu bringen, das Gebot Gottes zu relativieren. Im Leiden wurde er getestet. Bei seiner Passion wollte man ihn verführen, sich von seinem Vater im Himmel loszusagen. <> Jesus war Mensch, durch und durch. Er weinte vor Trauer um einen Verstorbenen, der im nahegestanden hatte. Er war manchmal erschöpft. Und so müde, dass er im Schiff auf einem Kissen schlief, mitten in einem schweren Sturm. Seine Jünger im Schiff schrien vor Angst. Jesus aber schlief. Jesus war Mensch, durch und durch. In allem wie wir. Liebe Gemeinde, was ist der Unterschied zwischen Jesus und uns? Was würden Sie auf diese Frage antworten? Worin liegt die Besonderheit, die Jesus bei aller Gleichheit mit uns doch anders macht? Wenn ich so frage: <> Was würden Sie sagen? Wer beim Vorlesen des Predigttextes aufmerksam war, weiß die Antwort: „Jesus ist versucht worden in allem wie wir, doch ohne Sünde.“ Nur drei kleine Worte: „Doch ohne Sünde“. Darin steckt der Unterschied. In Hugsweier oder in Langenwinkel kann man das von keinem sagen. In der Kirche kann man das von keinem sagen. „Doch ohne Sünde“- das kann man von keinem auf der weiten Welt sagen. „Ohne Sünde“ - also ohne Misstrauen gegen den Vater im Himmel. „Ohne Sünde“, also ohne die Sorge, man könnte im Leben irgendwie zu kurz kommen. „Ohne Sünde“, also ohne den Gedanken, es könnte unnötig sein, wenn mir im Leben etwas Hartes auferlegt wird. „Ohne Sünde“. Also ohne heimliche Zustimmung zu den Verlockungen des Versuchers. Der Versucher fragt listig: „Sollte Gott gesagt haben…?“ „Sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht…?“ (1Mose 3,1) „Ohne Sünde“, also ohne Kleinglauben wie bei uns, wenn’s uns hart ergeht. Erspart blieb Jesus nichts. Freunde wurden ihm untreu. Feinde quälten ihn mit giftigem Spott. Er wurde geprügelt und gefoltert. Am Kreuz starb er einen qualvollen Tod, nicht gelindert durch Morphium. Erspart blieb ihm nichts. Jesus „ist versucht worden in allem wie wir, doch ohne Sünde.“ Bitte merken Sie sich diese drei kleinen Wörter „doch ohne Sünde“.

Darin steckt eine gewaltige Aussage über Jesus: „Der versucht worden ist in allem
wie wir, doch ohne Sünde.“
Er ist ein „großer Hohepriester“. Von ihm wird im Hebräerbrief gesagt: „Er hat die
Himmel durchschritten.“ Er steht nun dort, wo kein anderer Mensch gestanden hat. Er
steht vor Gott. Er steht bei Gott. Über den die Bibel sagt: Er ist der, „der allein Unsterblichkeit hat, der da wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein
Mensch gesehen hat noch sehen kann.“ (1Tim 6,16) Der Pfarrer, der mich konfirmiert
hat, sprach in seinen Predigten oft von dem Licht, in dem Gott wohnt, zu dem niemand
kommen kann. Es hat sich mir eingeprägt als Aussage über Gott. „Er wohnt in einem
Licht, zu dem niemand kommen kann.“ Jesus, der Sohn Gottes, hat die Himmel durchschritten. Er steht vor Gott. Er steht da, wo sonst niemand hinkommen kann. Dort tritt er
beim Vater im Himmel für uns ein. Als „großer Hohepriester“. Ein Hohepriester hat die
Aufgabe, für die Sünder einzutreten. Dafür hat er „die Himmel durchschritten“. Ich
weiß nicht, wie sich der Verfasser des Hebräerbriefs das vorgestellt hat. Aber ich erkenne, dass es gut für uns ist. Die Vorstellung, dass Christus „die Himmel durchschritten“ hat, um vor Gott zu sein und bei Gott für uns einzutreten als Hohepriester. Das ist
gut für uns. Ich denke als Mensch unserer Zeit an die unendliche Zahl der Sterne. An die
Milliarden von Milchstraßen. An die riesigen Entfernungen im Weltall. Alles Gottes
Schöpfung. Alle Galaxien sind Gottes Eigentum. Für uns kleine Menschen unermesslich.
Gott ist unermesslich. Gott wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann. Das
wäre erschreckend, wenn ich nicht zugleich glauben dürfte, dass Jesus vor Gott steht
und bei ihm für uns einsteht. Schon als Kind in Friedrichstal habe ich das Lied gelernt:
„Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt? Gott der Herr hat sie
gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen großen Zahl.“ (EG 511,1)
In diesem Lied wurde Gott, der Herr, mit den unzähligen Sternen seines Universums verbunden mit meinem Leben als Kind. In der dritten Strophe heißt es: „Gott im Himmel hat
an allen seine Lust, sein Wohlgefallen; kennt auch dich und hat dich lieb.“ (511,3) Wie
tröstlich ist das! So ist Gott der Herr, der auf dem „Thron der Gnade“ sitzt. „Er kennt
auch dich und hat dich lieb.“ Das ist ein Satz, an dem ich festhalten will.

Ein Bekenntnis zu Gott, der an mir festhält. „Wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit.“ Wir haben Jesus Christus. Uns, so wie wir sind, hat er sich gleichgestellt. Uns, so wie wir sind, ist er nahe. Uns, so wie wir sind, sagt er sein Wort der Gnade: <> <>, sagt Christus, <> Dietrich Bonhoeffer hat vor fünfundachtzig Jahren zu unserem Predigttext folgende Gedanken notiert: „Wird dir deine gottlose Umgebung zur Versuchung – Christus hat tiefer in dieser Umgebung gestanden… Wird dir die Einsamkeit zur Anfechtung – Christus war einsamer. Verzweifelst du an der Gottferne – Christus ist mit dem Verzweiflungsschrei dieser Ferne gestorben. Er war versucht wie wir. Er kann wahrhaft Mitleid haben.“ So die Worte von Dietrich Bonhoeffer. („Predigtentwurf über den Hohepriester“, 1935, in: Gesammelte Schriften, hg. von Eberhard Bethge, Vierter Band, München 1965, S, 217) Es geht um das Bekenntnis zu Christus, der allein die Macht des Versuchers brechen kann. Christus ist der, der „versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde.“ Er hilft mir, „wenn ich den Halt verlier“. (EG 488,3) Liebe Gemeinde, „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis!“ Jeder trägt in sich einen Satz, zu dem er sich bekennt. „Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.“ (Ps 23,1) Oder „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ (Luk 12,15 ) Oder „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“ (Jes 43,1) Oft ist der Konfirmationsspruch so ein Satz, den wir in uns tragen. Ein Satz, zu dem wir uns bekennen. An dem wir festhalten. Und genau betrachtet ist das ja zugleich ein Satz, in dem sich Gott zu uns bekennt: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Kor 12,9) „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.“ Lasst uns an den halten, der an uns festhält. „Lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden.“ Das sind gute Aussichten. Amen