Predigt zum Nachlesen

14. März 2021 – Lätare, Predigt von Prädikantin Lilo Michael.

Predigttext: Johannes 12, 20-24

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen´s Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Liebe Gemeinde!
1. Die Tante wird bald sterben. Sie kann schon nicht mehr aufstehen, nicht mehr sprechen, nicht mehr schlucken. Niemand weiß, wann genau es soweit sein wird. Es kann auch sein, dass es noch Wochen dauert oder Monate. Aber eigentlich hat ihr Sterben schon lange begonnen. Schon seit Jahren weiß die Tante von ihrer Krankheit, einer tödlichen Krankheit. Sie hat versucht, so lange es ging, weiter zu leben. Sie hat sich dem schleichenden Tod nicht ergeben. Sie ist jeden Tag ein paar Kilometer gegangen und hat sich gesund ernährt. Sie hat nicht allzu viel an den Tod gedacht, sondern vom Leben mitgenommen, was sie nehmen konnte. Das hat ihr wahrscheinlich einige Zeit zusätzlich verschafft. Manch anderer hätte sich mit dieser Diagnose gleich aufgegeben, nach dem Motto: „ Es hat ja doch keinen Sinn.“        Die Tante war anders. Sie hat sich gesagt: „Ich werde noch gebraucht, von meinem Mann, von meinen Enkelkindern, von Freunden.“ So hat sie lange am Leben festgehalten. Aber jetzt kommen die Krisen häufiger. Sie muss immer wieder ins Krankenhaus. Jetzt stellt sich nach und nach die Frage: Wie kann ich am besten sterben, in Würde sterben?

2 „In Würde leben – In Würde sterben“, so hieß die große Debatte im Bundestag über das Thema Sterbehilfe. Keiner kann so ganz genau sagen, wann das Leben vorbei ist und der Tod eintritt. Was ist mit einem Menschen, der von außen betrachtet nicht mehr reagiert? Kann er nichts mehr empfinden und ist er schon tot, auch wenn sein Herz noch schlägt und sein Körper noch atmet? Im 1. Korintherbrief schreibt der Apostel Paulus: Ich sterbe täglich (1.Kor 15,31). Was meint er, wenn er das zu Lebzeiten von sich sagt? Ein Mann (aus unserer Zeit) berichtet, wie er seine Mutter beim Sterben begleitet hat. „Es war, als ob etwas aus ihr herausgefahren wäre, das war wohl ihre Seele.“ Was erzählt der Mann mit diesem eindrücklichen Bericht über Tod und Leben?

Liebe Gemeinde, auch wenn wir mit dem Tod in Berührung kommen, lösen sich auch die Grenzen unserer Wahrnehmung auf. Wir sind auf unsicherem Boden – beim Übergang vom Wissen zum Glauben. Wir ahnen: Der Prozess, den wir Sterben nennen, ist nicht eindeutig umgrenzt. Mit dem Menschen kann es auch dann noch weitergehen, wenn das Herz nicht mehr schlägt. Es gibt eine Verwandlung. Und darum geht es in unserem Evangelium.

3„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Jesus malt uns mit wenigen Worten ein Bild vom Tod. Er sagt: Das Weizenkorn fällt in die Erde. Scheinbar muss es sterben; aber als es sich auflöst in der Erde, verändert sich nur seine Gestalt. Das Korn lebt weiter. Es bildet den Halm. Neue Körner reifen heran. Das eine Korn kann viel Frucht bringen.

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein.“ Jesus verwendet dieses Bild zunächst für sich selber. Die Szene spielt in Jerusalem. Jesus ist dort von vielen Menschen jubelnd begrüßt worden. Was er an Wundern getan hat, ist in aller Munde. Es spricht sich herum. Da kommen einige Griechen, sie heißt es. Die wollen Jesus sehen. Aber es ist wohl schwer, an ihn heran zu kommen. Die Menschen, die ihn sehen wollen, kommen nicht zu Jesus durch. Nur Philippus und Andreas erzählen von ihrem Anliegen. Aber Jesus wehrt ab. Er spürt, dass sein Sterben schon besiegelt ist, dass es schon begonnen hat. Jesus spürt, dass sein Leben sich bald verwandeln wird: Er wird nicht mehr als Mensch unter den Menschen sein. Die Begrenzungen, die ein Mensch hat, werden aufgehoben. Andere Menschen werden ihn nicht mehr sehen, sprechen und anfassen können. Er wird nicht mehr nur an einem Ort sein. Aber dafür wird er für unzählige Menschen erreichbar sein. ER wird in ihnen leben und ihnen von seiner Kraft abgeben können und von seinem Trost. Das wird ihr Leben verändern. Sie werden ihm auf neue Weise nahe sein – als eine große Gemeinschaft von vielen Glaubenden. Sie trösten sich gegenseitig, wenn einer traurig oder krank ist. Diese Menschen werden Jesus dienen, indem sie zu ihm beten als zu ihrem Gott. Einem Gott, der Mensch war und der ihnen hilft, Mensch zu sein. Und Jesus sagt mit dem Bild vom Weizenkorn zugleich noch etwas anderes: Die Glaubenden werden wie die Körner sein an dem einen Halm. Sie werden so handeln, wie Jesus gehandelt hat. Sie werden ihm dienen, indem sie einander helfen. Indem sie die Kranken pflegen, die Gefangenen besuchen, den Hungernden zu Essen geben. Auch dadurch wird Jesus lebendig erfahrbar bleiben. Immer weiter. Auch dann, wenn er gestorben ist.

Liebe Gemeinde! Beides ist wahrgeworden. Jesus wurde verwandelt und Jesus ist da für uns bis heute. Es zeigt sich auch hier bei uns in Hugsweier und Langenwinkel!

4 In der Passionszeit ist Zeit für leise, für nachdenkliche Töne. Wir sehen auf Jesu Weg zum Kreuz. Wir versuchen, nicht nur immer um uns selbst zu kreisen. Damit sich unsere Gedanken um anderes drehen als nur um unser Gewicht, um unsere Gesundheit, um unser Glück und unsere Not. Wir überdenken unser eigenes Leben und unsere Lebensgewohnheiten. Wir sehen auf das Wesentliche. Mit dem Bild vom Weizenkorn im Ohr können wir fragen: Was macht mein Leben aus? Worauf soll es hinauslaufen? Manchen Menschen ist es geschenkt, dass sie für andere ein Segen sind. Die Tante zum Beispiel ist so ein Mensch. Sie war ihr Leben lang offenherzig und gütig. Sie hat anderen gern etwas geschenkt, als sie noch gesund war. Sie hat arme Kinder unterstützt. War für andere da. Sie war auch stark. Sie hat den Tod ihres Sohnes überwunden, ohne zu verbittern. Aber nun, am Lebensende, kann sie schwach sein, ohne zu verzweifeln. Hilfe annehmen und sich Fürsorge gefallen lassen. Wie wichtig ist auch das! Es ist keine leichte Übung. Loslassen und das eigene Sorgen aus der Hand legen. Bis es dann Zeit ist, das Leben ganz loszulassen. Und vielleicht empfinden die Angehörigen das dann so, wenn die Tante gestorben ist: Ihre Liebe, ihre Seele, ihr Geist, sie werden nicht einfach weg sein. Alles, was das Leben der Tante ausgemacht hat, ist nicht verloren. Es wird sie weiter begleiten und ihnen Kraft geben.

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Geheimnisvoll, wenn das vergehende Weizenkorn Frucht bringt. Aber genau das ist die Verheißung: Das Leben setzt sich durch.   Amen.

Lied 98 „Korn, das in die Erde sinkt“